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Wirtschaft: Für Tele-Agenten gibt es jede Menge Arbeit

Bundesweit sind bereits 120 000 Menschen in Call-Centern tätig / Die Betriebe klagen schon über FachkräftemangelVON JOACHIM WIEBERDie Nürnberger rieben sich verwundert die Augen: Auf ihrem Hauptmarkt, der als Christkindlmarkt bundesweite Bekanntheit genießt, stand eines Morgens eine große Videowand.Darauf zeigte ein Unternehmen der Region typische Call-Center-Arbeitsplätze in Aktion und pries die Job-Chance.

Bundesweit sind bereits 120 000 Menschen in Call-Centern tätig / Die Betriebe klagen schon über FachkräftemangelVON JOACHIM WIEBER

Die Nürnberger rieben sich verwundert die Augen: Auf ihrem Hauptmarkt, der als Christkindlmarkt bundesweite Bekanntheit genießt, stand eines Morgens eine große Videowand.Darauf zeigte ein Unternehmen der Region typische Call-Center-Arbeitsplätze in Aktion und pries die Job-Chance.Der Versuch, aus der Not der Personalsuche für einen fast unbekannten Beruf geboren, gelang ­ das Unternehmen gewann zahlreiche Mitarbeiter für seine Service-Telefonzentrale.Bundesweit sind derzeit etwa 3000 solcher Stellen offen. "Noch kann sich in Deutschland kaum jemand etwas unter einem Call-Center vorstellen", bedauert Gerald Schreiber, Sprecher der Fachgruppe Tele-Medien-Services im Deutschen Direktmarketing-Verband (DDV) und selbst Geschäftsführer eines Unternehmens, das Call-Center für den Eigenbetrieb seiner Kunden einrichtet oder sie als Dienstleister betreibt.Tatsächlich aber haben sich Kundenbetreuung und Marketing per Telefon längst als Gewerbezweig etabliert.Nach DDV-Schätzung gibt es in Deutschland schon 1000 Call-Center mit insgesamt 120 000 Beschäftigten.Rund 90 000 der 365 000 Firmen mit mehr als 1 Mill.DM Umsatz setzen mittlerweile das Instrument Telemarketing ein.Davon nutzt gut ein Drittel den externen Service der etwa 250 darauf spezialisierten Agenturen (davon 130 im DDV); knapp zwei Drittel betreiben eigene Center. Den gesamten Aufwand deutscher Unternehmen für das Telemarketing veranschlagt der DDV, gestützt auf eine Emnid-Untersuchung, in diesem Jahr auf 4,4 (Vorjahr: 3,7) Mrd.DM.Und das Wachstumstempo soll sich in den nächsten Jahren bei wenigstens 20 Prozent halten, davon ist man im Verband überzeugt."Bislang sind die Möglichkeiten der telefonischen Kundengewinnung und -bindung nur angekratzt", meint Schreiber optimistisch und verweist auf die innovative Kampagne zur Einführung der T-Aktie.Zwanzig Call-Center der Telekom mit mehr als tausend Mitarbeitern und in Spitzenzeiten bis zu zwanzig externe Agenturen bewältigten damals mehr als vier Millionen Anrufe, in der Spitze waren es gut 200 000 pro Tag. Ob Finanzdienstleister, die ihren Kunden neue Produkte näherbringen wollen, Spediteure, die das Call-Center zur Koordination von Kundenwünschen und Fuhrpark einsetzen, oder Markenartikler, die ihren Außendienst entlasten wollen: "Wer dicht am Kunden arbeiten möchte, kommt am Teleservice kaum mehr vorbei", postuliert Schreiber.Die Wachstumsprognose dürfte darum eher zurückhaltend formuliert sein.Deutlicher fällt der Hinweis auf die Stellenentwicklung aus: "Die Anzahl der Beschäftigten in Call-Centern wird sich in den kommenden beiden Jahren nach DDV-Schätzungen verdoppeln." Inzwischen haben auch Wirtschaftsförderungsgesellschaften den personalintensiven Dienstleistungszweig entdeckt.So präsentiert sich Bremen schon als "Call Center City", Brandenburg und Duisburg bemühen sich intensiv um die Ansiedlung der hochgerüsteten Telefonzentralen.Denn das ist das Call-Center: eine kompakte Ansammlung von High-Tech-Arbeitsplätzen, an denen Telefon, Computer samt Datenbank und hochspezialisierte Software für hohe Produktivität sorgen.Die Software leistet dabei schon einiges: So kann die Anlage im "passiven" Betrieb, also bei den eingehenden Gesprächen, etwa an der angewählten Telefonnummer erkennen, welches Beratungsfeld gefordert ist, und entsprechende Informationen auf den Bildschirm bringen.Bei definiertem Kundenkreis kann sie den Anrufer identifizieren und gleichzeitig seine Bildschirm-"Karteikarte" ziehen.Im aktiven Betrieb, etwa bei breitangelegten Telefonaktionen, können die Systeme die vorgesehenen Ansprechpartner aus der Datenbank entnehmen, bereits automatisch anwählen und nur zustandegekommene Verbindungen samt Informationspaket den freien Arbeitsplätzen zuteilen.Eine statistisch aufgebaute Vorhersage-Software gibt dem System die dafür notwendigen hellseherischen Fähigkeiten.Eine nächste Stufe der Entwicklung könnte in der Verknüpfung mit dem Internet bestehen. Trotz aller Komplexität liegen die Investitionen für 40 Arbeitsplätze mit rund 1 Mill.DM relativ niedrig.So machen die Personalkosten mit 80 Prozent den Löwenanteil der Call-Center-Kosten aus.Die Arbeit innerhalb eines solchen Systems erfordert hohe Belastbarkeit und Flexibilität ­ externe Dienstleister bedienen oft mehrere Unternehmen mit demselben Center, so daß der Telefon-Mitarbeiter nacheinander in verschiedene, vom Computer mitgeteilte Rollen schlüpfen muß.Solche Anforderungen gehören zu den Gründen, daß zahlreiche Arbeitsplätze im Telemarketing mit Teilzeitkräften besetzt sind: "Im aktiven Betrieb halten nur wenige länger als vier Stunden täglich durch", so Schreibers Erfahrung.Teilzeit sei indessen nicht mit Aushilfsarbeit zu verwechseln: "Wenigstens 85 Prozent der Arbeit machen wir mit Festangestellten." Ein Grund dafür sind die hohen Vorleistungen."Rund 4000 DM pro Person müssen wir in die Grundausbildung stecken, ehe jemand den ersten Anruf tätigen kann", rechnet Schreiber vor.Sind die Mitarbeiter dann eine Zeitlang aktiv, spricht noch ein weiteres Argument für die feste Anbindung: "Wegen der intensiven Arbeit für die unterschiedlichsten Unternehmen haben Langzeit-Arbeitskräfte bei uns enorm breite Branchenkenntnisse." Bislang funktioniert das Ganze ohne geregelte Ausbildung.Doch das soll anders werden.Zunächst mit der Industrie- und Handelskammer Nürnberg haben Branchen-Unternehmen eine zertifizierte Fortbildung mit 170 Theoriestunden zum "Tele-Agenten" erarbeitet.Erfahrene Kräfte haben gute Chancen: "Mein Call-Center-Leiter bekommt jede Woche zehn Anrufe von Headhuntern", illustriert Schreiber den Fachkräftemangel, den der Boom verursacht hat. HB

JOACHIM WIEBER

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