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Wirtschaft: Für Trichet geht es um alles oder nichts

Der französische Notenbankpräsident will EZB-Chef werden – die Chancen werden schlechter

Paris . Die Zeit für Jean-Claude Trichet wird knapp. Zwar hat der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Wim Duisenberg, bereits angekündigt, sein Amt zugunsten einer „problemlosen Übergabe“ etwas länger auszuüben, wie am Mittwoch in diplomatischen Kreisen in Brüssel bestätigt wurde. Trotzdem sollte sein nominierter Nachfolger Trichet, der Präsident der französischen Notenbank ist, zumindest „theoretisch“ schon vor dem festgelegten Übergabedatum am 9. Juli 2003 bereitstehen. Derzeit sieht es nicht danach aus. Der 60-Jährige musste sich bis gestern zusammen mit acht weiteren Angeklagten vor Gericht verantworten. Es ging um seine angebliche Verwicklung in die Affäre um die frühere staatliche Skandalbank Crédit Lyonnais.

Am 18. Juni soll das Urteil gefällt werden. Trichet muss damit rechnen, zu zehn Monaten Freiheitsstrafe mit Bewährung verurteilt zu werden. Dieser überraschend hohen Strafforderung konnten auch Trichets Anwälte am letzten Verhandlungstag nichts Stichhaltiges entgegnen. Sie machten in ihren Plädoyers vor allem geltend, dass Trichet in seinem hohen staatlichen Amt unmöglich über alle Vorgänge bei den ihm unterstellten einzelnen Banken informiert sein konnte.

Trichet war Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre Präsident des Schatzamtes. Er soll gemeinsam mit Verantwortlichen im Direktorium der damals größten europäischen Staatsbank Crédit Lyonnais dafür gesorgt haben, dass dramatische Verluste – die Rede ist von fast 15 Milliarden Euro zwischen 1992 und 1994 – verschleiert und sogar durch heimliche Zahlungen der französischen Regierung „unsichtbar“ gemacht wurden.

Trichet selbst wird Verbreitung falscher Informationen und die Mitwirkung an mindestens einer falschen Bilanz vorgeworfen. Vor Gericht hat Trichet alle Vorwürfe zurückgewiesen und auf seine „übergeordnete“ Regierungsposition verwiesen. Er habe immer an die Seriosität des damaligen Bankdirektors Jean-Yves Haberer geglaubt, auch wenn ihm „Unstimmigkeiten“ aufgefallen seien.

Anders als für die meisten anderen Beschuldigten, die im Rentenalter sind, geht es für Trichet um alles oder nichts: um seinen Posten im höchsten europäischen Bankinstitut. Spätestens seit Ende vergangener Woche, als die Staatsanwaltschaft zehn Monate Gefängnis für Trichet forderte, scheint das Image des international hochgeschätzten Bankexperten tatsächlich zum ersten Mal massiv angekratzt zu sein. Vor Prozessbeginn hieß es, ohne einen „erstklassigen Freispruch“ sei Trichet als Präsident der EZB „nicht tragbar“. In Europas Bankkreisen wird bereits nach einem neuen Kandidaten gesucht. Im Gespräch ist der ehemalige EZB-Vizepräsident Christian Noyer.

Sabine Heimgärtner

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