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Lockendes Versprechen. Muhammar Gaddafi auf einem Plakat der China Railway Construction in Libyen. Foto: Katharina Eglau

© Katharina Eglau, Winterfeldtstr.

Wirtschaft: Gaddafis großer Zug

Libyen baut eine 3000 Kilometer lange Bahntrasse. Russen, Chinesen, Deutsche und Italiener verdienen mit

Nur er hat eine Uniformmütze mit goldenem Lorbeer. Ramadan Mohamed el Karmi kennt seinen Wert – er ist der einzige Lokführer Libyens. Gekonnt lässt er sich im gläsernen Führerstand in den Hydrauliksessel sinken. Ein letzter Blick auf die Monitore, dann drückt er den Gashebel langsam nach vorne und das gelb-grüne Vorzeigegefährt setzt sich leise brummend in Bewegung.

Während der provisorische Bahnsteig mit seiner einsamen Schweizer Bahnhofsuhr hinten verschwindet, haftet der Blick des 57-Jährigen vor sich auf der nagelneuen, schnurgeraden Trasse. Gelernt hat er sein Handwerk vor einer Generation, von 1980 bis 1986 im kommunistischen Rumänien. Heute bewegt er einen schnittigen Zug aus italienischer Produktion über die drei Kilometer lange Teststrecke nahe Tripoli. Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi hatte den Prototyp im vergangenen Jahr zum 40. Gaddafi-Jubiläum als Staatsgeschenk dagelassen. Sogar ein Salonwagen mit Sofas, Kofferaufzug und Jogging-Laufband für sitzmüde Gäste ist eingebaut – und natürlich eine italienische Espressomaschine.

Seit zwei Jahren macht Libyen Ernst. Rund 3000 Kilometer Eisenbahntrasse will der ölreiche Wüstenstaat bis Ende des Jahrzehnts bauen – eine zweigleisige Küstelinie zwischen Tunesien und Ägypten plus 810 Kilometer eingleisige Güterstrecke in die südliche Wüste zu der Stadt Sabha, wo Eisenerz abgebaut wird. Das kleine Schmalspurnetz der italienischen Kolonialherren von 1912 existiert schon seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Der Neuaufbau wird vor den Toren der Hauptstadt von dem beigen, zweistöckigen Hauptquartier der Libyschen Eisenbahn aus dirigiert. Von hier fehlen noch 15 Kilometer Gleise bis zum künftigen Hauptbahnhof im Zentrum. Entlang der Schneise werden bereits Unterführungen betoniert, Bulldozer schütten quietschend den Bahndamm auf, während Lastwagen Schotter abkippen und Schwellen aus Beton abladen.

Nicht nur in Libyen, auch in anderen Ländern der Region erlebt der Zugverkehr eine bemerkenswerte Renaissance – und keineswegs aus einer neureichen Nostalgie für Orient-Express oder Hejaz-Bahn. Mehr Menschen, mehr Handel, mehr Fahrzeuge, mehr Staus – überall im Nahen und Mittleren Osten gleichen sich die Muster der Verkehrentwicklung. Doch Bodenschätze wie Bauxit, Schwefel und Erz müssen zu den Exporthäfen. Reisen mit Auto oder Bus durch die riesigen Wüstenflächen sind lang und beschwerlich. Der inländische Flugverkehr kann mit der wachsenden Nachfrage kaum Schritt halten. Da versprechen die neuen Superzüge Abhilfe – durch Schnelligkeit, Komfort und Sicherheit.

Entsprechend hart ist in dem neuen Milliarden-Markt der Kampf der europäischen, russischen und chinesischen Eisenbahngesellschaften um lukrative Aufträge. In Saudi-Arabien hatte die „China Railway Construction“ die Nase vorn, die 2009 mit dem dreijährigen Bau der Hochgeschwindigkeitsstrecke Haramain begann. Zehn Millionen Pilger pro Jahr sollen künftig mit 320 Stundenkilometern vom Dschidda nach Mekka und Medina gebracht werden. Eine 1500 Kilometer lange „Schienenbrücke“ quer über die Arabische Halbinsel soll bis 2014 das Rote Meer mit dem Persischen Golf verbinden. Frachtschiffe bräuchten dann nicht mehr durch die Piratengewässer vor Somalia fahren. Ihre Container würden in Dschidda entladen und auf der anderen Seite von Damman aus weiterverschifft. Iran will seine abgelegene Pilgermetropole Maschad im Osten des Landes per ICE oder Transrapid mit Teheran verbinden – ein Projekt, was wegen des Atomstreits allerdings auf Eis liegt.

Die Golfstaaten Qatar und Bahrain lassen sich von der Deutschen Bahn komplette Systeme für Schnellzüge, Güterwagen und Metros entwickeln – mit 17 Milliarden Euro der bisher größte Auftrag in der Unternehmensgeschichte. Mit den Vereinigten Arabischen Emiraten haben die Deutschen gerade ein weiteres Memorandum unterzeichnet. Marokko, Algerien und Tunesien möbeln ihr Schienennetz mit französischer und spanischer Hilfe auf.

In Libyen kam neben den Chinesen erstmals auch „Russian Railways“ zum Zuge. Weichen und Schienenbefestigungen liefert der deutsche Bahntechnikkonzern Vossloh, Signalanlagen installiert eine Mailänder Firma, die ersten 16 Triebwagen baut der US-Konzern GE, der auch die Lokführer ausbilden soll. 6,2 Milliarden Euro hat Libyen seit 2008 locker gemacht. Die Löwenanteile sicherten sich die Russen für die Trasse von Sirte bis Benghazi und die Chinesen für die Güterstrecke in den Süden sowie den Küstenabschnitt von Tripoli nach Sirte, wo Revolutionsführer Muhammar Gaddafi von seinem Zelt aus die Staatsgeschäfte der „Großen Sozialistischen libysch-arabischen Volksrepublik“ lenkt.

In drei Jahren wird auch hier mit 250 Stundenkilometern der neue Intercity Tripoli-Benghazi vorbeirasen, versichert der weißhaarige Bahnchef Said Mohamed Rashid, der bei keiner Rede vergisst, die staatsmännische Weitsicht des „Bruder Führers“ hymnisch zu loben. Ob sich dessen Untertanen mit ihren Monatseinkommen von durchschnittliche 300 bis 500 Euro dann auch einen Fahrschein für die Superzüge werden leisten können, da hat Said Mohamed Rashid keine Sorge. „Die Preise werden sozial sein“, schmunzelt er, „aber nicht sozialistisch.“

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