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Gastkommentar: "Wirtschaftlich legitimiert"

Der Umweltsektor ist der größte Wirtschaftsbereich in Deutschland. Es sieht ganz so aus, dass seine Bedeutung bisher eklatant unterschätzt wurde.

Am heutigen Montag beginnt die Uno-Klimakonferenz im polnischen Posen. Doch Klimaschutz ist längst nicht nur eine politische Aufgabe, sondern eine ökonomische Chance. Das britische Umweltministerium spricht von einer „unsichtbaren Industrie“. Gemeint sind die Hersteller von Gütern und Dienstleistungen, die dem Schutz oder der Schonung der Umwelt dienen. Wie groß diese Umweltindustrie ist, weiß niemand genau. Die übliche Einteilung der Industriezweige sieht einen solchen Sektor nicht vor. Es sieht nun aber ganz so aus, dass seine wirtschaftliche Bedeutung bisher eklatant unterschätzt wurde.

Eine Studie der EU-Kommission versuchte vor zwei Jahren eine statistische Bestandsaufnahme und kam auf einen Anteil der Umweltindustrie am Bruttoinlandsprodukt von 2,2 Prozent mit immerhin 3,4 Millionen Beschäftigten. Aber wichtige Anbieter von umweltfreundlichen Gütern und Dienstleistungen fehlten. Zudem waren die verfügbaren Daten extrem lückenhaft. Für Deutschland nennt die Studie einen Anteil der Umweltindustrie an der Wirtschaftsleistung von drei Prozent. Das deutsche Umweltministerium kam in einer Studie von Roland Berger auf rund vier Prozent. Der Anteil der im Umweltsektor Beschäftigten wird vom Umweltbundesamt neuerdings auf 4,5 Prozent beziffert. Das sind immerhin 1,8 Millionen Menschen.

Aber das ist längst nicht alles.

Wir kennen die genaue Größe der Umweltindustrie immer noch nicht, aber wir wissen jetzt, dass sie erheblich größer ist, als die offiziellen Zahlen glauben machen. Allein die Investitionen in klimafreundliche Verfahren und Produkte machten nämlich zuletzt rund fünf Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung aus. Das ergab eine Berechnung des Potsdamer Instituts für Klimaforschung und des Fraunhofer-Instituts. Danach erhöht sich dieser Anteil sogar auf 6,5 Prozent, wenn das anspruchsvolle neue Klimaprogramm der Bundesregierung einbezogen wird. Das betrifft, wohlgemerkt, nur den Klimaschutz. Herkömmliche Umweltschutzgüter und -dienstleistungen wären dem also hinzuzurechnen. Ebenso öko-effiziente Innovationen, von der Biokatalyse bis zur Recyclingtechnik. Nach Berechnungen von Roland Berger könnte der deutsche Umweltsektor 2030 auf 16 Prozent der Wirtschaftsleistung anwachsen. Aber haben wir nicht bereits heute die Hälfte davon erreicht?

Weitere Bereiche könnten addiert werden: der Öko-Tourismus oder umweltbezogene Finanzinstitute und Stiftungen. Und was ist mit den Herstellern von Fahrrädern oder von Produkten mit dem Umweltengel? Das Problem der Umweltindustrie ist nicht nur, dass ihre Grenzen von Definitionen abhängen, die eng oder weit sein können. Die Grenzen sind auch noch fließend: Der sparsamste Kühlschrank von vor zehn Jahren ist heute ein Normalprodukt. Zu den unklaren Grenzen des Umweltsektors kommt die Lückenhaftigkeit der verfügbaren Daten.

Wie immer aber die Definitionen ausfallen und die Daten anfallen: Der Umweltsektor ist der bei weitem größte Wirtschaftsbereich in Deutschland. Auch seine Wachstumsraten liegen weit über dem Durchschnitt. Er ist auch ein exportstarker Wirtschaftszweig, den überdies ein hohes Innovationstempo auszeichnet. Besonders der Klimaschutz erweist sich als eine unerwartete wirtschaftliche Erfolgsgeschichte. Bei der solaren Stromgewinnung schwanken die Wachstumsraten in den letzten Jahren zwischen 50 und 60 Prozent.

Mit solchen Zahlen hat sich die wirtschaftliche Legitimation für einen anspruchsvollen Umwelt- und Klimaschutz zweifellos dramatisch verbessert.

Der Autor war Mitglied des Sachverständigenrates für Umweltfragen und Gründungsprofessor der Forschungsstelle Umweltpolitik der Freien Universität.

Martin Jänicke

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