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Auch am Tresen. Wegen der Abstandspflicht können Gastwirte und Hotels ihre Kapazitäten nicht voll auslasten.

© dpa

Gastrobranche steckt weiter in der Krise: Mehr staatliche Hilfen für den Winter gefordert

Trotz eines fast normalen Sommers hat 60 Prozent der Betriebe Existenzangst. Der Umsatz 2020 liegt um gut 40 Prozent unter dem Niveau von 2019.

Zum Ende der Feriensaison stellt sich die Gastbranche auf ungemütliche Herbst- und Wintermonate ein. Ausländische Touristen und Geschäftsreisende sind so gut wie gar nicht unterwegs, und wenn die Kneipen und Restaurants demnächst ihre Terrasse nicht mehr bespielen können, schrumpfen die Umsätze. Mehr als die Hälfte der 220 000 Betriebe kämpfe noch immer ums Überleben, hat der Branchenverband Dehoga ermittelt und leitet daraus die Notwendigkeit weiterer Hilfen ab: Eine verlängerte und erweiterte Senkung der Mehrwertsteuer, unbürokratische Überbrückungshilfe sowie Änderungen beim Miet- und Pachtrecht. Wenn der Gesetzgeber die Effekte der Corona-Pandemie als erhebliche Störung der Geschäftsgrundlage definiert, „würden auch große institutionelle Eigentümer gezwungen, sich an den Verhandlungstisch zu setzen“, sagte Dehoga-Präsident Guido Zöllick am Dienstag in Berlin. Gerade Immobilienfonds seien häufig nicht ansprechbar für Hotel-Pächter, selbst wenn die gar keine oder minimale Umsätze erwirtschafteten.

Am meisten los an der Küste

Der Dehoga-Präsident führt das Hotel Neptun in Warnemünde. Dort, wie überhaupt in Mecklenburg-Vorpommern, lief das Geschäft im Sommer einigermaßen, der Umsatz im August lag „nur“ um 22 Prozent unter dem Vorjahr. MV schnitt damit am besten ab, gefolgt von Brandenburg und Schleswig-Holstein (jeweils minus 32 Prozent). Am Ende der Umsatzrangliste für den August stehen Hamburg (minus 56 Prozent) und Berlin (minus 48 Prozent). Die Städte sind von Corona besonders betroffen, weil es weder Kulturveranstaltungen gibt noch Tagungen und Kongresse. „Die Stadt- und Tagungshotellerie sowie die Eventcaterer leiden extrem“, sagte Zöllick.

Katastrophe für Clubs und Discotheken

In der ersten Septemberwoche hat der Dehoga 5600 Hoteliers und Gastronomen zur aktuellen Lage befragt. Gut 60 Prozent der Betriebe „bangen um ihre Existenz“. Trotz des Anscheins von Normalität im Sommer werde der Umsatz der Branche in diesem Jahr um 40 bis 45 Prozent unter 2019 liegen, befürchtet Ingrid Hartges, die Dehoga-Hauptgeschäftsführerin. Vom 22. März bis Ende Mai waren Hotels und Restaurants geschlossen. Eine Perspektive gibt es bis heute nicht für Clubs und Discotheken, hier sei die Stimmung „katastrophal“. In dem Zusammenhang ärgert sich Zöllick über das föderale deutsche System: In Mecklenburg-Vorpommern dürften Discotheken öffnen und Getränke ausschenken; trinken ist erlaubt, tanzen nicht. Ein paar Kilometer weiter in Schleswig-Holstein dagegen herrscht striktes Disco-Verbot. Alles in allem befürchte man „ein gewaltiges Discotheken- und Clubsterben“.

Hilfsprogramm zu kompliziert

Die Dehoga-Spitze lobte Ausgestaltung und Verlängerung der Kurzarbeiterregelung und überhaupt die staatlichen Rettungspakete. Aber knapp 65 Prozent der in der vergangenen Woche befragten Betriebe bewerteten die Kreditprogramme und Liquiditätshilfen mit mangelhaft. Von 25 Milliarden Euro an Überbrückungshilfen sei bislang erst eine Milliarde abgerufen worden. Das Verfahren sei zu kompliziert. Seite Juli können Anträge auf Überbrückungshilfen gestellt werden, wenn der Umsatz in den Monaten Juni, Juli und August um mindestens 40 Prozent abgestürzt ist. In dem Fall gibt es eine Fixkostenerstattung bis zu 50 000 Euro/Monat. Der Dehoga möchte die Umsatzschwelle gerne auf 30 Prozent drücken.

Mehrwertsteuersenkung kostet Milliarden

Die Bundesregierung hatte bereits im Frühsommer entschieden, den Mehrwertsteuersatz auf Speisen für ein Jahr von 19 auf sieben Prozent zu reduzieren, um der Gastronomie mehr Liquidität zu lassen. Das reduziert die Einnahmen der Finanzämter um knapp zwei Milliarden Euro, schätzt der Branchenverband. Ab August 2021 soll wieder der volle Steuersatz berechnet werden – zu früh, meint der Dehoga und plädiert für eine Entfristung und dazu die Einbeziehung zumindest alkoholfreier Getränke. Das würde Kneipen, Bars, Clubs und Discotheken helfen und rund 1,4 Milliarden Euro im Jahr kosten rechnet Dehoga-Chefin Hartges.

Kaum Coronafälle in der Gastwirtschaft

„Das Gastgewerbe mit 2,4 Millionen Beschäftigten ist lebensrelevant“, sagte Zöllick, und für die Attraktivität von Innenstädten ebenso unverzichtbar wie im ländlichen Raum. Der Dehoga-Präsident appellierte an die Kommunen, „weiterhin großzügig“ zu sein bei der Genehmigung von Außenbereichen, Wintergärten, Pavillons oder Heizgeräten, um die Außengastronomie-Saison zu verlängern. „Wir werden den Mut nicht verlieren und weiter für die Branche der Gastfreundschaft kämpfen“, kündigte Zöllick an. Und dazu bedarf es eines langen Atems und treuer sowie verantwortungsbewusster Gäste. Von 55 000 Coronafällen, die sich das Robert-Koch-Institut bis Juli angeschaut habe, entfielen nur 1,6 Prozent auf Hotels und Gastronomie.

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