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Wirtschaft: Geb. 1906

Fritz Lehmann

Rohre werden immer gebraucht. Also waren auch die Kriegsjahre blühende Jahre. Und danach hatten Leute wie er erst recht viel zu tun.

Das feine Seebad Ahlbeck auf Usedom, 1936. Fritz Lehmann sitzt im Strandkorb, zwei junge Damen in eleganten Badekostümen schmiegen sich lächelnd an seine Schultern, er trägt einen gestreiften Bademantel, die Schirmmütze in den Nacken gezogen. Es geht ihm gut, dem Klempnermeister aus Berlin, sehr gut. Er wohnt in einem der feinen Hotels, direkt an der Seebrücke, und er ist mit dem Cabrio angereist, ein schwarz-glänzender Opel P4, da drehen sich die Leute staunend um und sehen gleich: Der Lehmann hat’s zu was gebracht.

Zuhause im Regal steht Hitlers „Mein Kampf“. Nicht, dass Fritz Lehmann das Buch gelesen hätte. Überhaupt Lesen! Er hat Wichtigeres zu tun. Rohre legen, Schornsteine abdichten, Verstopfungen beseitigen. Er ist Arbeiter und kein Gelehrter. Aber dass dieser Hitler ein ordentlicher Mann ist, da ist er sicher. Seit der in Deutschland das Sagen hat, geht es aufwärts mit seinem Betrieb, den er 1931 vom Vater übernommen hat. Der war an einer Rauchvergiftung gestorben, beim Auftauen der Berliner Heizungsrohre in diesem besonders kalten Winter.

Der Betrieb am Halleschen Ufer 10 in Kreuzberg hatte 1931 fast keine Kunden mehr. Ein schwieriges, dunkles Jahr, in dem Lehmann auch noch Ehemann und Vater wurde. Aus dieser Zeit gibt es kein einziges Foto im ansonsten prall gefüllten Familienalbum. Nach ein paar Monaten schon ging die Ehe auseinander und der Sohn Ehrhard kam ins Heim. Die Liebe, die Sicherheit, der Erfolg – alles abhängig vom kränkelnden Lebensnerv der Weltökonomie. Es musste sich etwas ändern, und weil Fritz Lehmann ein deutscher Arbeiter war, wählte er 1933 die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei. Und gleich wurde alles besser, es wurde investiert, gebaut, aufgerüstet, es gab Aufträge. Fritz Lehmann stellte einen Gesellen nach dem anderen ein, bald waren es 30, und neben dem Hauptgeschäft hatte der Betrieb auch eine große Werkstatt in den Telefunkenwerken in der Görtzallee.

1934 heiratet Fritz Lehmann zum zweiten Mal, 1936 holen die Eheleute den Sohn aus dem Heim, die neue Ehefrau besteht darauf, 1938 kommt ein zweiter Junge zur Welt. Es zieht Ordnung ein in das Leben von Fritz Lehmann, und seiner Meinung nach auch in Deutschland. Er lässt einen guten Tischler schwere Chippendale-Möbel anfertigen, solche, die fürs Leben halten. Die neue Frau ist ein Segen, vermittelt zwischen den Hitzköpfen, Fritz und seinem ersten Sohn Ehrhard, dessen Existenz immer ein Stachel bleibt, eine Erinnerung daran, dass es nicht immer so rosig war, in Lehmanns Leben.

Der Arbeiter Lehmann ist auch in der Partei und Mitglied der Arbeitsfront. Stolz lässt er sich fotografieren, mit Hakenkreuz am Revers. Als 1939 der Krieg beginnt, bleibt er in Berlin, wird vom Militärdienst freigestellt. Seine Arbeit als Betriebsklempner im Telefunkenwerk gilt als unentbehrlich für die Rüstungsindustrie.

Weil Rohre immer gebraucht werden, sind selbst die Kriegsjahre blühende Jahre. Fotos zeigen die Familie beim Sonntagsausflug nach Schloss Sanssouci, Lehmann im dunklen zweireihigen Mantel, elegant wie ein Diplomat. Als die Bomben auf Berlin fallen, werden Frau und Kinder aufs Land gebracht. Und als die russischen Panzer in Kreuzberg, auf der anderen Seite des Landwehrkanals in Stellung gehen, glaubt Fritz Lehmann immer noch an die Wunderwaffe, den Endsieg, an Adolf Hitler. Ein paar Schüsse fallen auf seiner Uferseite, die russische Artillerie eröffnet das Feuer, und ein paar Augenblicke später liegt die Fritz Lehmanns Welt in Trümmern. Die Werkstatt, die Bohrmaschinen und Abbiegebänke zerstört, er selbst bald in Gefangenschaft und schließlich ohne Arbeit, unter Entnazifizierungsvorbehalt, der ganze Wohlstand dahin.

Jetzt wird gehungert, die ganze Familie in Bad Liebenwerda. Lehmann bessert die Blechverkleidung der Mühlenflügel aus und flickt Töpfe, mit 40 Jahren ist er wieder Gelegenheitsarbeiter. 1948 bestätigt ihm der antifaschistische Blockausschuss: „…hat sich in keiner Weise politisch betätigt“. Das Land muss wieder aufgebaut werden, Haus für Haus, Dachrinne für Dachrinne. Man braucht Männer wie ihn. Von der Abfindung für die verlorene Telefunken-Werkstatt kauft Lehmann 1953 eine Ruine in Lichterfelde und stellt in das wieder aufgebaute Haus die dunklen Salonmöbel, die den Krieg überlebt haben.

Bald ist sein Betrieb größer denn je. Er hat gute Kontakte, zum Senat, zu den Großhändlern, die ihm Kredit gewähren. Er weiß, wann man einer Vorzimmerdame ein Schächtelchen Pralinen oder auch mal ein Waschbecken spendiert. Das Strandbad Wannsee, Schloss Glienicke, die Grüne Woche, das sind die Großaufträge der Firma, und Lehmann rückt auch aus, wenn in der Schwangeren Auster während eines Kongresses die Hauptleitung verstopft.

Jeden Morgen empfängt er seine Gesellen zur Einsatzbesprechung im Arbeitszimmer, vom Wohnzimmer durch eine weiße Schiebetür getrennt. Natürlich steht das erste funktionierende Telefon in Lichterfelde in seinem Haus, die Nachbarn telefonieren hier. Zu Weihnachten packt die Familie Pakete mit Kaffee, Schokolade und Likör. 50 für Geschäftsfreunde, 50 für Leute in der DDR.

Fritz Lehmann verreist seltener als während seiner ersten Wohlstandsperiode, er arbeitet fast nur noch, mal ein Besuch bei „Holiday on Ice“ – das ist das große Vergnügen. In Salzgitter baut Fritz Lehmann eine Fluchtwohnung, für alle Fälle. Und Aufhören, das gelingt ihm erst mit 75. Sein erster Sohn übernimmt den Betrieb, ausgerechnet. Der soll mehr als er von Heizungen verstehen?

Ein langes Leben, ein deutsches Leben. Fritz Lehmann erlebt seinen 50. Hochzeitstag, feiert das 50-jährige Bestehen seines Hauses, und das 125-jährige Betriebsjubiläum. Er ist noch immer der Familienpatron, als sein Sohn in Ruhestand geht und die Klempnerei an den Schwiegersohn übergibt. Und er weiß noch als 96-jähriger Witwer, wie er die Witwen in der Nachbarschaft dazu bringt, ihm etwas Gutes zu kochen. Er schenkt ihnen einfach ein Huhn. Frischgerupft.

Kirsten Wenzel

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