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Wirtschaft: Geb. 1913

Heinz Blank

In seiner Bäckerstube erzählte er über Landschaften, die er nicht gesehen und Reisen, die er nicht gemacht hatte.

Langsam dehnte sich der erste Sauerteig in der tiefen Holzmulde aus. Heinz Blank, nahm ein kleines Stück ab, stellte es kühl für den kommenden Tag. Mit dem Rest knetete er die Brote für heute. Es war 4 Uhr in der früh, irgendwann im Jahr 1949, es war Heinz Blanks erster Tag als Meister in seiner eigenen Bäckerei in Friedrichsfelde. Die Backstube wurde für ihn schnell mehr als ein Arbeitsplatz. Sie war Rückzugsmöglichkeit vom Sozialismus, ein Ort der Kontinuität.

Als Heinz Blank, ein kleiner Mann, mit streng zurückgekämmten dunklen Haaren, seine Bäckerei eröffnete, war er 26 Jahre alt. Er hatte gelernt, Klaviere zu bauen, er war Polizist gewesen und Funker an der Front. Nach dem Krieg hatte ihm sein Vater gesagt: „Brot und Schrippen kaufen die Leute immer“, also wurde er Bäcker. „Wir Kinder halfen natürlich mit“, sagt der einzige noch lebende Sohn, Peter Blank. „Vor der Schule standen wir in der Backstube oder füllten die Regale im Laden auf.“ Später lernten beide Söhne das Backhandwerk, der Vater war mit seinem Beruf ja auch zufrieden.

„Vater war Bäcker mit Leib und Seele“, sagt Peter Blank. „Wenn es sein musste, war er nachts um eins in der Backstube und verkaufte nachmittags um fünf noch Brot.“ Nie sei der Vater krank gewesen oder habe übers frühe Aufstehen gejammert. „Er war stolz auf sein Brot und seine Kuchen.“ Und er litt, wenn Engpässe den guten Geschmack verdarben. „Am Anfang war alles kein Problem. Mindestens zweimal pro Woche sind wir mit dem Vater nach West-Berlin gefahren und haben eingekauft. Vor allem Kuvertüre, Marzipan und Gewürze.“ Die Mauer begrenzte das Leben und die Backkunst. Statt Mandeln wurden nun gemahlene Erbsen mit Puderzucker vermengt – aus Marzipan wurde Persipan. „Vater hat das nicht gefallen, aber er hat immer versucht das Beste draus zu machen. Leben und leben lassen, war sein Motto.“

Aus dem Osten zu verschwinden – das kam für Heinz Blank nicht in Frage. Er wollte ja schon aus Kaulsdorf nicht weg. Stattdessen richtete er sich ein im Sozialismus. Der Bäcker profitierte schließlich von den Schwierigkeiten der volkseigenen Betriebe. „Wenn deren Brot in den Konsum kam, war es oft schon alt oder gar schlecht. Die bekamen es einfach nicht in den Griff.“ Deshalb brauchte man die privaten Bäcker, es ging ihnen nicht schlecht. Und um die Politik mussten sie sich nicht kümmern: „Mein Vater ist nie in irgendeine Partei eingetreten“, sagt der Sohn. „Vater ging nach der Tagesschau ins Bett, da konnte er sowieso nicht bei politischen Versammlungen dabei sein.“

Heinz Blank zog sich zurück. Nachts in seine Backstube, tagsüber in seine Müdigkeit. So wurde das frühe Aufstehen zur willkommenen Ausrede: „Ich hab keine Zeit dafür“, sagte er dem Funktionär, der ihn zum Parteieintritt bewegen wollte. „Ich bin mü- de“, sagt er zu seinen Söhnen, wenn die mit ihm was unternehmen wollten. „Er wollte oft einfach seine Ruhe haben“, sagt sein Sohn. „Vater war aber kein einsamer Mensch.“ Er hatte viele Freunde, spielte oft und gut Skat. Aber über sich und seine Gefühle sprach er selten. Er genoss sein Leben in der Nische.

Nachts in seiner Backstube, da war Heinz Blank ganz bei sich. Da wurde der Bäckermeister auch mal gesprächig. Hier brachte er seinen Söhnen nicht nur das Bäckerhandwerk bei. Hier redete er auch über Landschaften, die er nicht gesehen und Reisen, die er nicht gemacht hatte. Vor allem erzählte er aus der Geschichte. Die Söhne erfuhren von Feldherren und von Eroberungen, von der Weimarer Republik und vom Krieg.

„Fast alles was ich weiß, hat er mir beigebracht“, sagt der Sohn, der eine Bäckerei in der Kuglerstraße führt. Der Blank steht nicht nur hier, sondern auch an anderen Bäckereien in den Berliner Ostbezirken über der Eingangstür. Die Bäckerfamilie hat es zu etwas gebracht.

Noch kurz bevor er starb, gelang es Heinz Blank, seinen Enkel davon zu überzeugen, dass es besser sei Bäcker zu sein als Stahlbauer. Hätte er es nicht vermocht, wäre die Familientradition in der dritten Generation zu Ende gewesen. Peter Blank will sich bald zurückziehen. Bis dahin wird er gemeinsam mit seinem Sohn in der Backstube stehen und das Mischbrot nach Heinz Blanks altem Rezept backen. Vor vielen Jahren haben sie vom Großvater ein Stück Sauerteig bekommen, haben es seitdem täglich vermehrt und wieder geteilt. Ursula Engel

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