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Wirtschaft: Geb. 1914

Maren Flor

Sie war eine Lebenskünstlerin, eine, die versucht, das Leben zu verkünsteln.

Wenn sie malte, war es, als wollte sie mit ihren Pinselstrichen dem lieben Gott unter die Arme greifen. Das Hässliche hatte in Maren Flors Bildern keinen Platz: Straßen, Strommasten, krumme Nasen – was nicht in ihren Schöpfungsplan passte, ließ sie weg. Einmal hat sie sich selbst porträtiert: eine Frau mit streng nach hinten gebundenen, strohblonden Haaren, melancholisch blauen Augen und fein geschwungener Nase, in den Händen einen frisch gepflückten Strauß bunter Wiesenblumen, über ihrem Kopf flattert ein Schmetterling, leicht und unbekümmert.

Im wirklichen Leben waren ihre Augen nicht ganz so blau, ihre Nase nicht ganz so fein und frisch gepflückte Wiesenblumen gab es in ihrer Mietwohnung eher selten. Das wirkliche Leben war nicht so leicht und unbekümmert.

Maren Flor liebte die Kunst. Denn die Kunst war für sie ein Zusammenspiel von Farbe, Form und Stoffen, mit dem man Vollkommenes schaffen kann. Kunst bedeutete Schönheit. Und Maren Flor hatte auch den Ort gefunden, in dem die Schönheit zu Hause war: das Berlin der späten zwanziger Jahre. Ausgerechnet.

Sie war am Alex groß geworden als einzige Tochter einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie, so wohlhabend, dass ihr Vater schon damals ein Automobil vor der Haustüre stehen hatte. Und damit gab er mächtig an. Ihr Vater war ein „Koofmich“, wie sie ihn ein wenig verächtlich nannte, einer der für Literatur, Musik und Malerei nichts übrig hatte. Aber er bezahlte ihr immerhin die Zeichenstunden. In einem Maleratelier einer Mitschülerin am Alexanderplatz verbrachte sie ihre Nachmittage. Sie beobachtete, probierte aus, lernte. Und sie staunte jedesmal aufs Neue, wenn die Farben, die auf der Palette nichts als vereinzelte, bunte Kleckse waren, auf der Leinwand miteinander verschmolzen und auf einmal einen Sinn ergaben.

Als der braune Morast alles Schöne in Deutschland unter sich begrub, als Berlin zu einer Stadt der beschmierten Schaufensterscheiben und brennenden Bücher wurde, ist sie gegangen. Da war sie Mitte 20 und hatte gerade ihre Stelle als Illustratorin beim Ullstein Verlag verloren. Die NSDAP hatte den Verlag übernommen. Maren Flor hasste die Nationalsozialisten. „Nicht, weil sie ein politischer Mensch war“, sagt ihre Enkelin, „sondern weil sie eine Ästhetin war“. Und die Nationalsozialisten waren für sie die Handlanger des Hässlichen.

Sie flüchtete nach Amrum und heiratete den Zimmermann Hinne. Ihre Flucht hatte etwas Romantisches: Maren Flor hoffte auf die Schönheit der Natur, hoffte, dass die Natur ersetzen konnte, was sie in Berlin hatte zurücklassen müssen. Doch der Krieg nahm keine Rücksicht auf ihre Hoffnungen. Hinne wurde kurz nach der Hochzeit eingezogen; als er ging, war es Winter. Und der Winter auf Amrum war kalt und lang. Frierend und seit einigen Monaten schwanger saß Maren Flor im Bett – Stunden, Tage, Nächte, Wochen.

Es war wohl in einer dieser endlosen Nächte, als sie beschloss, der Wirklichkeit den Rücken zu kehren und begann, sich ihre eigene Welt zurechtzubasteln. Sie wurde zu einer Lebenskünstlerin, zu einer, die versuchte, das Leben zu verkünsteln. Fortan ließ sie nichts mehr, wie es war: Dosen wurden bemalt, Einkaufstaschen bestickt und jedes Hemd, jede Bluse mit Perlmuttknöpfen aufgehübscht. Stühle, Vasen, Bilderrahmen, sie konnte alles so werden lassen, wie sie es für richtig empfand – nur die Menschen, die konnte sie nicht verändern.

Ihr Mann, ihre Tochter, sie hatten keine Chance. Sie blieben auf der Strecke, weil der Mensch Mensch bleibt. Von ihrem Mann ließ sich Maren Flor nach 16 Jahren Ehe scheiden, ihrer Tochter ist sie nie wirklich nah gekommen. Erst die Nichten und Enkel hatten es einfacher mit ihr.

Als Maren Flor Ende der fünfziger Jahre Amrum verließ, hatte sie sich nicht nur von der Wirklichkeit, sondern auch von den Menschen verabschiedet. Obwohl sie als Marktforscherin quer durchs Land reiste und täglich neuen Gesichtern begegnete, lebte sie, wann immer es ging, zurückgezogen in ihrer vollkommenen Drei-Zimmer-Welt.

Nachdem Maren Flor in Rente gegangen war und nun viel, sehr viel Zeit hatte, erschuf sie die perfekten Menschen – im Puppenformat. Paganini, Hoffmanns Olympia, Josephine Baker. Jede Puppe ein halber Meter vollkommener Schönheit. Die Baker mit strahlend weißen Zähnen, Wespentaille und runden Brüsten. Olympia in lila Seide, mit kostbarem Schmuck behängt. Jeder Puppe schenkte sie ein halbes Jahr ihres Lebens. „Sie nähte, stickte und stopfte, fünfzehn Jahre lang, acht, manchmal auch zehn Stunden täglich“, erzählt die Enkelin.

Das Vermächtnis von Maren Flor sind 30 Puppen, kleine Menschen aus einer anderen Welt – einer Welt, die so war, wie Maren Flor sie sich erdacht hat.

Dagmar Rosenfeld

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