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Wirtschaft: Geb. 1914

Mizzi Odenthal

Mizzi Odenthal

Sischer dat!, hat Mizzi Odenthal oft gesagt, hat es fröhlich-kölsch herausposaunt, wenn sie was bekräftigen wollte. Da war sie schon eine alte Dame, leicht starrsinnig, die gerne Sherry trank und „Schokolädchen“ aß.

Dass es ein romantisches Geheimnis im Leben der netten Tante gegeben haben könnte, ahnte da keiner mehr. Spuren nur waren davon geblieben, weit entfernt von Lichterfelde zumal. Im Nachhinein – traute man sich, zu spekulieren – ließe sich aus den Spuren viel herauslesen. Warum Mizzi erst so spät geheiratet hat. Warum sie so auf ihre Unabhängigkeit bedacht war und noch im Krankenhaus außer sich geriet, wenn ihr Hausschlüssel, letztes Pfand der Selbstständigkeit, verliehen wurde fürs Blumengießen. Warum sie, alles in allem, ihr Leben strikt nach der eigenen Bequemlichkeit ausrichtete und den Menschen nur Gefallen tat, wenn’s ihr nichts abverlangte. Trotzig fast.

Maria Odenthal wuchs in Bornheim auf, halbe Strecke der Dampfbahn von Köln nach Bonn. Der Vater starb früh, Artillerievolltreffer im Ersten Weltkrieg, die Mutter hinterher, aus Kummer. Es war trotzdem eine glückliche Kindheit. Mizzi kam behütet ins Lyzeum in Hersel und sollte zur gut katholischen, rheinischen Hausfrau erzogen werden. So ganz hat das nicht geklappt.

„Auf Maria ist besonders Acht zu geben“, hatte schon der Vater per Feldpost warnend nach Hause geschrieben. Er kannte sein Mädchen mit der großen Klappe. Dunkle Knopfaugen, störrisches Haar, ein frech aufgeworfenes Näschen, wild und charmant. So selbstbewusst, dass sie nie glauben konnte, wenn einer ihr was versagte.

1932 macht Mizzi das Abitur, sie lernt Sekretärin in Bad Godesberg, sie zieht in Bonn gleich hinter den Hauptbahnhof, wo sie den Neffen das Zählen beibringt mit Blick auf Aberdutzende von Waggons. Dann wird sie Sekretärin bei der Godesia, und es muss zu dieser Zeit gewesen sein, dass sie Eduard Pirkmeyer kennen lernt.

Es sind drei vergilbte Bildchen geblieben von Mizzi und Pirkmeyer. Drei winzige Fotos in einem Schuhkarton voller Erinnerungsstücke. Die Fotos sind auf einer Fahrt den Rhein hinunter entstanden. Nur eines zeigt den Mann. Einen schönen Mann. Mit Pomade gekämmtes Haar, gerade Nase, kräftiges Kinn, Zigarre in den Fingern. Ernst. Eitel ein wenig. Zwei zeigen Mizzi. Im Kostüm, wie sie eine Leiter hinaufklettert und über die Schulter zurücklacht, eher Mädchen noch als Frau. Ein anderes, wie sie einen Hügel hinaufgeht und dem Mann winkt, ihr zu folgen. Oben ein Baum, der Schatten und Stille verspricht.

Es war wohl die große Liebe. Es war aber wohl auch der falsche Mann. Vielleicht war Pirkmeyer zu alt für Mizzi, vielleicht war Mizzi zu schnoddrig, zu unabhängig für einen aufstrebenden Ministerialrat. Der Pirki war ein Karrierist, sagt ein Neffe ein bisschen abfällig. Pirkmeyer lässt Mizzi fallen, ganz sacht. Eines Abends geht sie aus, ins Theater, allein, weil er zu arbeiten hat – und trifft ihn, eine andere im Arm.

Man kann lernen, dass Lieben nur wehtut. Man kann das lassen, wenn man will. Alleinsein ist Übungssache, und so wird Mizzi eine sehr moderne Frau für die vierziger und fünfziger Jahre. Sie versorgt sich selbst, wird geschätzte Assistentin des Chefs der Portland Zementwerke, der sie „mein Odenthälchen“ nennt. Sie unternimmt auch viel allein, denn sie wird nicht oft eingeladen. Später erzählt sie, dass die Frauen, die verheirateten, sie oft seltsam ansahen – ein wenig ängstlich, in dieser Nachkriegszeit, in der die Männer knapp waren. Es ist ein ruhiges Leben, das Mizzi führt, mit Freundinnen und Flirts, mit Reisen an die See, über die sie lustige Verse dichtet, und mit Karnevalspartys. Umwälzendes tut sich lange nicht.

Mizzi wird 42, ehe sie beschließt, ihr Leben aus der Starre zu lösen. Da ist dieser freundliche Witwer, ein Berliner Professor, sehr viel älter, der sich in sie verliebt hat. Zwei Jahre überlegt Mizzi. Dann geht sie die Vernunftehe ein – auch Pirkmeyer gratuliert, kurz angebunden, auf der Rückseite einer Visitenkarte. Und ohne große Gemütsbewegung zieht Mizzi mit dem Mann nach Berlin. Sie hat sich dem Leben angepasst, sie pflegt keine allumfassenden Lieben mehr, keine für Städte oder Mentalitäten. Sie mag Straßen oder Menschen, und wenn die Berliner ihr zu ruppig werden, dann fragt sie energisch, ob es nicht ein bisschen sonniger geht.

Vierzehn Jahre dauert die Ehe, bis der Professor an einem Morgen im Jahr 1966 tot im Plüschsessel sitzt. Wirklich, Liebchen, es war eine gute Zeit, sagt Mizzi zur Nichte. Der Werner sei zwar manchmal etwas „abständig“ gewesen, was wohl heißen sollte, dass die Liebe eher platonisch verlief. Aber er schrieb ihr Zettelchen wie dieses: „4.3.54. Sieben Uhr morgens“ – und darunter schwungvoll, liebevoll, hingerissen nur: „Mizzilein!“

Mizzi behielt ein Bonner Zimmer in ihrer Berliner Wohnung, mit den Möbeln von damals: skandinavisch, modern, schnörkellos wie Mizzi selbst. Da las sie oft. Trank Sherry, aß Schokolädchen, hörte André Rieu und machte dem Sängerbund die Büroarbeit. Eine gesellige Einzelgängerin sei sie gewesen, sagt die Familie. Eine, die stur den Dicken wählte, obwohl die Neffen sie so beknieten, doch der Jugend eine Chance zu geben.

Doch irgendwann nach Werners Tod, irgendwie, taucht Pirkmeyer wieder auf. Mizzi trifft ihn. Die Familie kennt auch nur Gerüchte. Die beiden sollen zusammen an die Nordsee gefahren sein. Aber Mizzi blieb da sehr diskret. Und zum Schluss doch allein.

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