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Wirtschaft: Geb. 1915

Eva Bloemer-Homa

Unter den alten Bildern steht: „Ich wünsche, ich wünsche mir so sehr… Dass es bald wahr wär… Dass ich ein Star wär.“ Es ist etwas dazwischengekommen.

Sie legt eine Walzer-Platte aufs Grammophon der Eltern, „Rosen aus dem Süden“ von Johann Strauß. Eva ist noch ganz klein, vielleicht fünf Jahre alt, sie zieht die großen Vorhänge der Schaufensterscheibe beiseite – die Familie bewohnt eine Ladenwohnung in Prenzlauer Berg – und sie beginnt zu tanzen. Die Leute draußen bleiben stehen und sind entzückt vom Schauspiel. Als die Musik zu Ende ist, gestikuliert Eva flehend: Bleibt doch noch, ich dreh’ nur schnell die Platte um. Die Leute bleiben. Ein Triumph.

Die Mutter stirbt, da ist sie zehn. Die Mutter, die liebe Mutter. Die war immer zu Hause, hat sich gekümmert, hat den Töchtern vorgelesen. Nur umarmt hat sie sie nie – aus Liebe. Sie hatte Tuberkulose, hatte Angst, die Kinder anzustecken, und so gab’s immer nur den Kuss aufs Haar. Nun ist sie tot und der Vater ein Hallodri. Er bringt Eva in ein Waisenhaus, die Kindheit ist vorbei. Zwei Jahre bleibt sie dort, und immer, wenn sie das Gefühl beschleicht, eine Erzieherin könnte es zu gut mit ihr meinen, würde gar versuchen, die geliebte Mutter zu ersetzen, da reagiert sie nur mit Trotz. Sie gilt als „schwer erziehbar“.

Nach einem Jahr bei einer Pflegemutter nimmt der Vater Eva wieder auf. Doch als sie 15 ist, kann er das Schulgeld nicht mehr zahlen, und aus der besseren Bildung wird nun nichts. Sie muss auf die Handelsschule, lernt Stenografie und wie man Bücher führt.

Und will viel lieber schauspielern, will singen, will tanzen. Es gibt noch Fotos aus dieser Zeit, sie sieht sehr selbstbewusst aus, knabenhaft und schön. Und sie posiert: mal im ganz klassischen Profil mit Schlagschatten hinterm Bubikopf, mal mit Blick voll Sehnsucht hoch zur Studiodecke. Im Album steht darunter: „Ich wünsche, ich wünsche mir so sehr… Dass es bald wahr wär… Dass ich ein Star wär.“

Eva wird Stenotypistin. Sie flieht vom Vater, dessen neue, junge Frau ihr nicht behagt, und der sie schlägt. Sie wohnt bei Freunden und zur Untermiete, hat Jobs, mal hier, mal da, mal gute wie im Großraumbüro der sowjetischen Handelsvertretung, da verdient sie 65 Dollar im Monat, mal miese wie im Restaurant als Zigaretten-Page, da will der Chef sie nur ins Bett bekommen.

Wenn sie frei hat und auch mal Geld, geht Eva ins „Romanische Café“ an der Gedächtniskirche. Die Künstler sitzen hier und viele, die es werden wollen. Hier lernt sie Moritz Seeler kennen, einen Wichtigen vom Theater. Sie spielt ihm eine Szene vor aus „Frühlingserwachen“, und Seeler meint, jawohl, sie könne was, sie solle mal zur Schauspielschule gehen.

Doch daraus wird auch wieder nichts, die Nazis kommen an die Macht. Evas Mutter war Jüdin, und später wird niemand genau wissen, ob Eva in der finsteren Zeit es je versucht hat, ihren Traum nicht nur zu träumen. Sie ist „Halbjüdin“, wer fragt da nach Talent?

Mit einer Freundin, Judith, will sie fortziehen, ganz weit weg. Wohin? Nach Bali! Da ist es warm, da tanzen sie, im Film sah Bali prima aus. Die Mädchen trampen, werden eingeladen, sie schlafen in Hotels, die die Chauffeure für sie zahlen. Die Reise endet jäh in Koblenz. Die beiden sind ja minderjährig, man hält sie fest in einem Katholikenheim. Da hängen sie die Christenbilder von den Wänden und singen die „Internationale“ und machen alles noch viel schlimmer. Es dauert Wochen, bis Eva, lang nach Judith, das Heim verlassen darf. An Bali denkt jetzt niemand mehr, Berlin – das reicht. Zwei Jahre später macht sich Judith tatsächlich aus dem Staub. Sie geht nach Frankreich, Eva traut sich nicht. Das Risiko, geschnappt zu werden, die Unlust, Heimat aufzugeben.

Heimat – das ist wieder das „Romanische Café“, das sind die Freunde und die Männer und die Liebe. Die Leute, die Fotos von ihr machen, wenigstens Fotos. Und das ist auch die Mühsal zu überleben, die kurzen Jobs, das Geld, das fehlt. Eva zieht umher wie eine Getriebene, nirgens bleibt sie lange. In Chemnitz arbeitet sie bei einem Arzt, verliebt sich, doch es gibt noch seine ehemaligen Geliebten und auch die Ehefrau, und dann kommt eine weitere Geliebte noch dazu. In Württemberg, auch hier arbeitet Eva als Sprechstundenhilfe, liebt sie einen „Fabrikfranzosen“, einen Zwangsarbeiter, und begibt sich damit in Gefahr. Als sie ihre Stelle aus ganz anderen Gründen verliert, verlässt sie auch den Mann – und rettet so womöglich sich und ihm das Leben.

Nach dem Krieg, gleich 1945, bewirbt sich Eva an der Schauspielschule und wird tatsächlich aufgenommen. Endlich, es ist so weit, jetzt kann das Leben losgehen, wer soll sie jetzt noch hindern?

„Junge Frau, Sie sind über 30. Jetzt anzufangen, ist so hart, dass Sie es lieber lassen sollten.“ Das sagt ihr Paul Bildt vom Deutschen Theater, als sie, nun ausgebildet, bei ihm vorspricht. Andere sagen es ähnlich.

1946 heiratet Eva, 1947 bringt sie ihren Sohn zur Welt, 1951 lässt sie sich scheiden, der Mann hat eine andere. Zum Glück bekommt sie eine Stelle als Kellnerin im „Quartier Bohème“. Hier will man das Erbe des „Romanischen Cafés“ antreten, hier bezahlt man gut. Und hier hat Eva einen Flirt. Sie ist inzwischen 38, Ulli, der Mann, den sie verführt, ist 17. Sie ist seine erste, seine große, seine einzige Liebe. Für sie ist er ein hübscher Junge. Nach einem halben Jahr verlässt sie ihn, bricht wieder einmal aus, macht eine große Tour durch Frankreich, zu zweit auf einer Vespa. Wegen ihres Sohnes muss sie bald zurück – und Ulli wartet schon. Hat Süßigkeiten an ihre Wohnungstür gehängt und Blumen.

Die beiden haben 1988 geheiratet, nach 35 Jahren wilder Ehe. Der Steuer wegen, die Liebe mussten sie sich nicht mehr versprechen. Ulli hat ihr jede Woche Blumen geschenkt, Ulli war Evas Entschädigung fürs Leben. Das sagt er selbst, und sie hat’s auch gesagt.

Und doch blieb eine große Wehmut in ihr bis zum Schluss. Den Traum vom Star-Sein hat sie nie vergessen.

1936 gab’s mal eine Zeitungswerbung für transportable Plattenspieler, die Marke hieß Odeon. Auf dem Bild: das Grammophon am Boden, daneben liegen Schallplatten – und ein Werbegirl mit Bubikopf, Eva. Wie gerne hätte sie die Platte selbst besungen, der sie nur begeistert lauschen durfte. David Ensikat

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