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Wirtschaft: Geb. 1923

Walter Rosenzweig

Walter Rosenzweig

Das hier, so einen Nachruf, so ein Aufhebens um seine Person, das hätte er bestimmt nicht gewollt. Sagt Frau Klauck, die Nachbarin, und das sagt auch Herr Döllel, der so eine Art Ziehsohn war für den Verstorbenen.Typisch Kriegsgeneration eben, unerhört bescheiden.

Walter Rosenzweig, Künstler im früheren Leben, Sänger an der Komischen Oper, Schauspieler auch, und immer in illustren Kreisen unterwegs. Fotos mit Hilde Krahl und anderen Größen haben sie nach seinem Tod in den Schubladen gefunden, nie hat er davon erzählt. Nur einmal: Dass er in einigen, sehr ehrenwerten Filmen mit dabei war. In „Der Prozess Mary Dugan“ von Falk Harnack oder in „Hotel Adlon“ von Josef von Baky. Angegeben hat er damit nie. Aber das hätte er wohl gekonnt, wenigstens ein bisschen.

Ein Leben in der Stille, in Steglitz, kleine Seitenstraße. Frau Klauck sagt: Er war ein Nachbar, den man einfach mögen muss. Lange Jahre haben sie nur Guten Tag gesagt im Hausflur. Dann wurde es enger, freundschaftlicher. Der Grund: Herr Rosenzweig, ein ganzes Leben nie nach fremder Hilfe fragend, kam nicht mehr ohne aus am Ende. Frau Klauck gab sie ihm gern. Auch eine andere Nachbarin im Hause zögerte nicht lang. Für ihn kochen, nach ihm schauen – das war erst Mitgefühl und dann Bedürfnis. Drum war auch beiden Frauen der Gedanke fürchterlich, den guten Mann im Heim zu sehen. Da wollte er um Himmels willen nie, nie hin.

Frau Klauck sagt: Schade, dass wir erst so spät zusammen kamen. Ein toller Mann, sagt sie, vorzügliche Manieren und eine Aura – fabelhaft. Auch noch mit achtzig. Da lassen andere nach, vergessen den und die, sind alterszornig, kujonieren Wohlgesonnene. Nicht Walter Rosenzweig. Was haben sie geschwatzt, gelästert und gejohlt. Frau Klauck sagt: Scheckig hab ich mich gelacht. Dazu lief: klassische Musik, ein Herzensding der beiden. Die Stimme hob er nur, wenn andere seine Ordnungsliebe torpedierten, den Dingen achtlos einen anderen Platz zuordneten als jenen, den er vorgesehen hatte. Der Streichholzschachtel, dem Geschirrhandtuch.

Dummheit war ihm lästig, sein Zutrauen hielt er zurück. Frau Klauck erreichte ihn, sie durfte näher kommen – ein Mann für Frauen war er dennoch nicht. Sein Lebensmensch war Heinrich, über 40 Jahre lang. Heinrich aus Bayern, Koch im Esplanade. Der liebte es, wenn Walter den Brillantring für ihn überstreifte. Den guten alten. Das war besonders. Frau Klauck sagt: Die beiden waren wie zwei Hälften, die zusammen gehören. Händchenhaltend sah sie beide nie. Auch eine Frage der Generation. In vielen Dingen waren sich die beiden Männer einig, vornehmlich in ihrer Anspruchslosigkeit. Ein guter Wein – ja, aber Essen auch vom Aldi. Jedoch: für jeden bitte einen eigenen Fernsehapparat. Da wollte jeder seine Freiheit haben. Was an Geld so übrig blieb, wurde verreist, am liebsten in der Schweiz. Viel Geld blieb eh nie übrig.

Vor drei Jahren starb nun Heinrich. Jetzt kommen sie erneut zusammen, auf dem Friedhof am Südwestkorso. Da waren sie in alten Zeiten viel spazieren, der Dietrich wegen. Ein Star, den sie verehrten, ganz ohne Wenn und Aber. Im Filmmuseum streichelten sie ihre Schwanenfederrobe. Frau Klauck sagt nochmal: Schade, schade. Was hätten sie noch alles unternehmen können, der Walter Rosenzweig und sie. Jetzt, wo sie sich doch endlich besser kannten. Die Philharmonie wär’ schön gewesen.

Judka Strittmatter

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