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Wirtschaft: Geb. 1924

Er arbeitete in einem Büro, an das sich kaum jemand erinnert. Es ging um Menschenschicksale.

Er arbeitete in einem Büro, an das sich kaum jemand erinnert. Es ging um Menschenschicksale.

Die Zerstückelung einer Stadt, wie geht das? Zuerst malt man Striche auf die Straßen, stellt Zäune auf und Polizisten an die Durchgänge, dann zieht man Stacheldraht, und schließlich baut man eine Mauer. Stein auf Stein, ganz einfach.

Und dann?

Dann sieht man, wie man klarkommt. Irgendwie ruckelt sich alles zurecht, man gewöhnt sich an die absurdesten Dinge, regelt sie. Menschen erleiden fürchterliches Unrecht, andere kümmern sich drum, und irgendwann ist alles längst vergangen. Ost-Berlin und West-Berlin, Gesamtberliner Fragen – war da was?

Es gab einmal ein Büro, das befand sich im Rathaus Schöneberg, dort, wo man den westlichen Teil Berlins regierte. An den Schreibtischen arbeiteten drei Männer. Sie lasen Zeitungen, machten Notizen, sie durchblätterten Akten und Gesetzblätter, verfassten selber Akten, und sie telefonierten. Sie taten Dienst im „Büro für Gesamtberliner Fragen“.

Wir fragen herum in der Redaktion des Tagesspiegels, da, wo man meinen möchte: Hier wissen sie Bescheid über dieses West-Berliner „Büro für Gesamtberliner Fragen“. Wie bitte? Wie hieß das? Keine Ahnung. Im Archiv immerhin gibt es ein paar kleine Meldungen aus den fünfziger Jahren, in denen die Institution erwähnt ist. Wir fragen auch nach in der Kanzlei des Berliner Senates. Zu der hat das Büro einmal gehört. Ein Herr, der hier seit über 30 Jahren arbeitet, kann sich auch nicht erinnern. „Könnte es mal gegeben haben“, sagt er immerhin.

Johannes Völckers hat gute 30 Jahre im „Büro für Gesamtberliner Fragen“ gearbeitet. Beinahe so lange, wie es das Büro gab. Wir erfahren das von seinem Freund, Wolf Tuchel. Der lernte Johannes Völckers Ende der fünfziger Jahre kennen, als der zur SPD kam. Zuvor war Völckers bei den Liberalen. Und durch die Liberalen ist er auch zu Beginn der Fünfziger in das Büro gekommen. Er studierte damals an der Freien Universität Geschichte und Politik, und noch bevor er einen Abschluss machen musste, bot ihm seine Partei die Referentenstelle an.

In diesem Büro ging es um „die systematische Bearbeitung der Sorgen, Wünsche und Hoffnungen der Sowjetzonenbevölkerung“, so hieß es im Tagesspiegel 1952, als die Abteilung in der Senatskanzlei gegründet wurde. Und? Was konnte man da tun? Wolf Tuchel, der Freund, kann das so detailliert auch nicht mehr sagen, es ist doch alles lange her: „Das war so eine Art Koordinationsstelle, an der die Dinge, die mit der Teilung zu tun hatten und nicht an höherer Stelle abgehandelt wurden, gesammelt und an die Zuständigen weitergegeben wurden.“

Was geschieht, wenn ein Ostler rüberkommt und bleiben will? Wohin geht der zuerst? Wer hilft, wer ist überhaupt zuständig? Mit diesen Dingen befasste sich Johannes Völckers an seinem Schreibtisch. Mit den Jahren änderte sich das ein wenig: Nach dem Mauerbau ging es mehr und mehr um die Beobachtung des fernen nahen Ostens. Man las DDR-Zeitungen, wertete offizielle Verlautbarungen und Gesetzblätter aus, schrieb Vorlagen für Bürgermeister, Staatssekretäre und Senatoren. Und dann ging es immer wieder um den Gefangenenaustausch. Verwandte im Westen informierten das Büro übers Schicksal ihrer Leute im Osten, man prüfte und leitete weiter. Zum Beispiel an den West-Berliner Anwalt Jürgen Stange, der sich an den Anwalt Wolfgang Vogel im Osten wandte. Für Johannes Völckers blieben die Fälle Aktenvorgänge.

1970 war er plötzlich selbst „Betroffener“: Bei einer Delegationsreise nach Budapest hatte sich Johannes Völckers in die ungarische Reisebetreuerin verliebt. Er besuchte sie noch ein paar Mal, und der Entschluss war rasch gefasst: So bald wie möglich heiraten wir. Noch einmal zurück in Deutschland erfuhr Völckers, dass seine Geliebte ihren Job verloren habe und wegen ihres Kontaktes zum Klassenfeind in ein Arbeitslager gesteckt worden sei. Nun ließ der SPD-Mann seine Kontakte spielen. Wolf Tuchel weiß nichts ganz Genaues, aber irgendwie muss das über Herbert Wehner und dessen Kontakte zu den ungarischen Kommunisten gelaufen sein: Die Ungarin kam frei, Völckers konnte sie heiraten und nach Berlin holen.

Bis 1987 arbeitete Johannes Völkers in der Senatskanzlei. Je weniger jedoch von Gesamtberlin die Rede war, desto weniger befasste er sich mit den alten Problemen. Als von der Teilung kaum noch die Rede war und plötzlich die Wiedervereinigung kam, lebte er schon mit Frau und Beamtenpension in Wien. David Ensikat

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