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Wirtschaft: Geb. 1924

In seinen Filmen sah man Adenauer, Brandt und andere. Von ihm selbst war nur die Nasenspitze erkennbar.

In seinen Filmen sah man Adenauer, Brandt und andere. Von ihm selbst war nur die Nasenspitze erkennbar.

Von allen Büchern, die er in seinem Leben las, war ihm Goethes Faust doch das bedeutendste geblieben. Goethe, das war der Autor, der ihm tiefere Einsichten ins Leben, in den Widerstreit der Gefühle und die vielen Vergeblichkeiten des menschlichen Strebens vermittelte.

Joachim H. Krebs war Journalist. Dass er das geworden ist, hatte er eher dem Zufall als einem festen Berufswunsch zu verdanken: Eigentlich wollte er Medizin studieren, versuchte es an sieben Universitäten und scheiterte überall am Numerus clausus – schon damals, kurz nach dem Krieg, waren die Universitäten überfüllt. Joachim H. Krebs landete schließlich 1948 an der Berliner Freien Universität bei den Juristen. Obwohl er später etwas gänzlich anderes tun sollte, behielt er die karge Studienzeit in bester Erinnerung, es war eine „Zeit des Aufbruchs“, wie er später schrieb. Dass er zum Rundfunk kam, verdankte er einem alten Schulfreund, den er zufällig in Berlin traf. Der vermittelte ihm den Auftrag, ein Manuskript für den Nordwestdeutschen Rundfunk zu schreiben. Krebs musste Geld verdienen, schrieb, der Redaktion gefiel’s – und so wurde er freier Mitarbeiter, Journalist.

Nach einigen Rundfunkjahren wechselte Joachim Krebs zum Fernsehen – und hatte Erfolg: Seit 1959 leitete er für die ARD das Tagesschau-Büro in Berlin. So erlebte er den Bau der Mauer hautnah. Sobald es wieder die Möglichkeit gab, den Osten zu besuchen, nutzte er sie, um auch das Leben im anderen, fremder werdenden Teil der Stadt zu beschreiben.

Fernsehberichterstattung zu jener Zeit, das war noch etwas recht Aufwändiges. Live- Übertragungen gab es kaum. Wenn der Regierende Bürgermeister von West-Berlin den Polizisten an der Grenze zu Weihnachten einen Präsentkorb überreichen wollte, dann musste er seinen Auftritt das eine oder andere Mal wiederholen, bis die Szene endlich passte. Es wurde auf Filmband gedreht, die Beiträge wurden im Schnittraum des Büros grob bearbeitet, der Ton separat aufgezeichnet, dann gingen die Film-Rollen per Flugzeug in die Redaktion nach Hamburg. Der Zeitdruck war enorm.

Joachim H. Krebs, der ARD-Mann in der Mauerstadt, führte etliche Interviews mit Politikern wie Konrad Adenauer, Willy Brandt, und Helmut Schmidt. Ihn selbst, den Journalisten, sah man kaum im Bild, höchstens mal seine Schulter oder die Nasenspitze, an der vorbei der Befragte gefilmt wurde.

Immer mal wieder erhielt Joachim H. Krebs die Gelegenheit, sein eigentliches Berichtsgebiet zu verlassen und westdeutsche Politiker auf ihren Reisen zu begleiten. In Erinnerung blieb zum Beispiel der Besuch des kaiserlichen Hofes von Äthiopien an der Seite von Heinrich Lübke. Es war ein Festessen, bei dem der Journalist ganz und gar nicht satt wurde: Die höfische Etikette verlangte, dass in dem Augenblick, in dem der Kaiser fertig gespeist hatte, auch der Rest der Tafelrunde das Besteck niederlegen musste. Zu Joachim H. Krebs waren da noch nicht einmal die Kellner mit dem Essen vorgedrungen.

Der Mann, der für das Fernsehen die aktuelle Politik begleitete, nahm die Gelegenheit wahr, für die Zeitung über sein Hobby zu schreiben: Seine sonntägliche „Briefmarkenecke“ im Tagesspiegel war unter Sammlern ein beliebter Lesestoff mit ausgesuchtem literarischen Zitatbeiwerk. Und der Postminister berief Joachim H. Krebs für vier Jahre in den Kunstbeirat der Deutschen Bundespost. Da entschied er mit, welche Bilder auf neue Briefmarken gedruckt werden sollten.

Als er an einem unheilbaren Geschwür erkrankte, stellten die Ärzte Joachim H. Krebs vor die Entscheidung, sich, um das Leben für kurze Zeit zu verlängern, einer aufwändigen, äußerst strapaziösen Chemotherapie auszusetzen oder der Natur ihren unbeugsamen Willen zu lassen. Joachim H. Krebs legte von dieser „schwersten Entscheidung“ seines Lebens ein schriftliches Zeugnis ab. „So einsam wie in dieser Zeit war ich noch nie“, beginnt sein letzter Text.

„Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“, sprach einst ein anderer und erhandelte sich bei Mephisto neue Lebenskräfte. Joachim H. Krebs kannte seinen „Faust“, er entschied sich gegen den Zeitenkauf. Stephan Reisner

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