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Wirtschaft: Geb. 1924

Bernfried Schlerath

Seinen Studenten und Kollegen galt er als Koloss an Geist. Über seine Wasserschildkröten führte er akribisch Buch.

So war er: Immer früh ans Tagwerk. Und jeden Sonntagmorgen eine Bach-Kantate. Zur geistigen Erbauung. Und fürs Herz. Zwischendurch, wenn’s passte, einen Schüttelreim: „Ich seh’ dort einen Hund graben, er wird schon seinen Grund haben.“ Seine Frau Ute schreibt nach seinem Tod: „Mein Mann war ein Koloß an Geist, ein funkelndes Kaleidoskop – mir gab er seinen Namen.“

Nach ein paar Stunden im Hause Schlerath, draußen in Dahlem, schleicht sich Bedauern ein beim Gast. Gern hätte man den Professor selbst noch kennengelernt. Briefe aus Spanien und den USA, Freunde, die vorbeikommen und über ihn reden wollen, Ute, seine Frau: Von überall her hallt Bewunderung für einen, der, so spürt man schnell, es in sich hatte. „Schlerath kam und es blühte“, hieß es allenthalben. Da wo er Chef war, Gast, Freund oder Ehemann. Politisch konservativ, singen die Menschen nach seinem Tod eine Hommage nach der anderen. „Herausragender Indogermanist“, „integre Persönlichkeit“, „scharfer Geist“.

Ein Menschenfischer also. Einer, sagt seine Frau, der keinen Unterschied machte zwischen Handwerkern und Habilitierten. Der mit der polnischen Hausfrau genauso gerne derbe Witze riss, wie er in einer Runde Akademiker-Freunde Blitzgescheites von sich gab. „Geistige Glücksfeste“ waren das dann. Nur Dummheit schmerzte ihn, und Eitelkeit. Und wenn er Langeweile im Gespäch empfand. Dann wurde aus dem Interessierten bisweilen auch ein gnadenloser Ignorant. Dann griff er nach der Zeitung und überließ es seiner Frau, den Gast zu unterhalten.

Seine Wissenschaft, die führte ihn nach Spanien, Schweden, Mexiko. Und Anfang der Siebziger an die FU Berlin. Dort stand sein Chefzimmer offen für alle; wer wollte, konnte auch ein Buch ausleihen. Das gefiel dem Mann, dem Sprache alles war. Von den Fotos, posthum von seiner Frau im Hause angebracht, blickt ein alter Herr mit stattlichem Gesicht, kein alter Mann. Der weiße Haarschopf voll und frisch, die Aura: Weisheit und viel jugendlicher Charme. Ein Frauen-Mann. Kein trockener, blutleerer Gelehrter. Musikfanatiker. Er selbst sehr gut auf der Oboe. Nur gegen eines kam er mit seinem scharfem Wortwitz Zeit seines Lebens nicht an – die siechen Knie. Die quälten ihn, und brachten ihn am Ende für 30 Monate ins Krankenhaus, schließlich ums Leben. Doch sich von Krankheit erschrecken oder abhalten zu lassen, das war nicht Schleraths Stil. Dann sprengte er den Rasen und den Rhododendron eben im Sitzen, von einem Stuhl aus.

Schnell nahm er Dinge an, die nicht zu ändern waren. Die Altersdiabetes beispielsweise. Dann nun von Stund an keinen Zucker mehr. Aber auch kein Barmen, Wehklagen, nichts und nie. Nur Disziplin. Den Laptop holte er sich an sein Krankenbett. Frau Ute über diese Tugend: „Er war ein Abfindungskünstler.“ Als es noch ging, war er auch dieses: ein vorzüglicher Koch. Woher er’s hatte? Er hatte es eben. Seine Grießnockerlsuppe – ein Gedicht. Sagt seine Frau.

Doch wehe, jemand mauschelte am Gewürzregal, das erregte seinen Zorn. Da musste alles seine Ordnung haben, die Gewürze schön sortiert nach Alphabet. Doch gibt es viele Akademiker, denen die Brotpreise geläufig sind? Oder die Bundesliga-Ergebnisse? Die Hemdsärmel krempelte er hoch und badete das Hausmeerschweinchen, wenn das von Diarrhoe geplagt war. Führte akribisch Buch über die Wasserschildkröten im Garten, wann welche krank war, dieses oder jenes hatte. Und als der Specht mit seiner Klopferei anfing, da sammelte er die Faserbüschel auf, die das Tier herabgeschleudert hatte. Notierte eifrig Größe und Gewicht. So viel zu wissen gab es in der Welt.

Emeritiert am Ende, verpflichteten ihn zahlreiche Rezensionsaufträge an den Schreibtisch. Die Wissenschaft, die Indogermanistik – die war sein Leben, bis zum Schluss. Trotzdem entlockte ihm ein schön gedeckter Tisch oder ein frisches Hemd – extra für ihn herausgelegt – ein Schnurren. Und Anerkennung für die Macherin.

Am ehesten versteht man wohl, was zwischen Herrn und Frau Schlerath war, wenn man sie sagen hört: „Ich vermisse seine Ausstrahlung.“ Oder: „Wir hatten ein wunderbares Niveau.“ Aber auch: „Er konnte so etwas von lieb sein.“

Nach drei Stunden im Hause Schlerath schleicht sich am Ende Freude ein. Den Professor kennt man nun. Und man hat seine Frau getroffen. Eine gute, wache Frau. Dem Professor hat sie das Entfalten und das Großwerden leicht gemacht. Sie selbst, Profi-Trompeterin immerhin, erschien sich leider nie so wichtig. Und hat – obwohl so augenfällig liebestreu – wohl einiges vermisst. Man möchte dem Professor sagen: Sie Glücklicher, nicht alle finden einen solchen Lebensmenschen. Ob er’s gewusst hat?

Die Asche des Professors wird ins Meer gestreut. Im Juli, in die Ostsee. Das war sein Wunsch.

Judka Strittmatter

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