zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Geb. 1929

Fabio Gregorat

Wenn der Mund nicht sprechen will, radier ihn weg. Die Augen wollen nicht sehen, die Nase nicht riechen, lösch sie aus.

Ordentlich, zuverlässig und stets im Dienst der Sache, so sah er sich selbst: ein Preuße, geboren in Triest. Die Heimatstadt war ihm zu eng, also zog es ihn in den Norden, dorthin, wo er jene Menschen vermutete, die anders waren, heroischer. Männer, die jenen Soldaten ähnelten, die durch seine Heimatstadt marschiert waren: Maschinenkörper, wie sie später in seinen Bildern auftauchten, perfekt modelliert, im Drill unerreicht, aber ohne Gesicht.

Zwei Jahre war er unterwegs, in Deutschland und Skandinavien, und ließ sich schließlich in Berlin nieder. Ein Italiener, der die deutsche Staatsbürgerschaft annahm, weil er sich heimisch fühlte in West-Berlin, dieser Insel der Ordnung, die er zunehmend in Gefahr sah durch die fatale Sehnsucht so vieler Berliner, sich italienisch zu geben.

Acht Semester Kunststudium, Meisterschüler, aber von der Malerei konnte er nicht leben. Also gab er Italienischunterricht in Volkshochschulen, mehr als dreißig Jahre lang, bis er, der Strenge, wenig Umgängliche, von einem Berufslächler hinausgedrängt wurde.

Er hat jahrelang sehr geduldig, sehr bestimmt, Kinder im Kunsthandwerk unterrichtet, bis die Schulen kein Geld mehr dafür hatten. Und dann waren da noch die kleinen Mal- und Zeichenzirkel für Freizeitkünstlerinnen, die mit ihm alterten, ohne große Fortschritte zu machen, obwohl sie von ihm so beharrlich dazu aufgefordert wurden.

Insgeheim aber wartete er darauf, endlich von einem Gönner entdeckt zu werden – obwohl: In der Anonymität seines Alltags fühlte er sich wohl behütet, die Zahl seiner Vergnügungen war übersichtlich.

Drei Jahre vor seinem Tod hat er sich ein Motorrad gekauft, ein Motorrad mit Beiwagen, nicht wegen der Begleitung, sondern weil er nicht rasen wollte. Damit reiste er nach Triest. Er fuhr jedes Jahr zur Familie, aber er wollte nie zurück nach Italien, und eine eigene Familie kam nie in Frage. Ein Egoist, natürlich. Wie sonst hätte er so bescheiden leben können mit seinem Einkommen, und später dann mit einer Rente, die gerade das Verhungern verhinderte.

Auf der letzten Fahrt nach Triest brach er sich den Arm und musste darauf das Motorrad verkaufen. Kein Unglück eigentlich, er hätte es sich sowieso nicht länger leisten können. Denn das Geld, das ihm blieb, brauchte er für die Flüge nach Gran Canaria. Dort, auf der ordentlichsten Insel der Kanaren, hatte er sich durch Handwerkerdienste ein Zimmer erarbeitet, wo er im Alter, als geduldeter Untermieter, malen wollte.

Das tat er, lebenslänglich, nahezu Tag für Tag: Skizzen und Bilder in allen Formaten, monumental und briefmarkengroß. Naturbilder, akkurat gezeichnet, und immer wieder diese Fassadenlandschaften, in denen Puppenmenschen ohne Gesichter in theatralischen Posen erstarrt sind.

Er war ein Künstler, der sich aller Techniken sehr sicher war, aber nicht der Inhalte. Er wäre wohl nie berühmt geworden, denn alle Bilder ähneln dem einen oder anderen Vorbild. So fürchtete er auch Kritik; er wusste sehr genau, dass er gut war, aber nicht genial.

Mehr als die Kritik aber fürchtete er das Kunstgeschwätz: „Herr Gregorat, ihre Landschaften, wunderschön, so natürliche Farben, aber diese anderen Bilder, und die Figuren darin – grässlich!“

Er hätte antworten können: Wenn der Mund nicht sprechen will, radier ihn weg; die Augen wollen nicht sehen, die Nase nicht riechen, lösch sie aus. Die Haut hat keiner je berührt, wie sie berührt werden wollte, was bleibt dann? Eine leere Fläche, in die nie jemand sein Gesicht einzeichnen wird. Wenn wir genauer hinsehen, ist die Welt voll von Menschen ohne Gesicht.

Ein Misanthrop, sicher. Einer jener stillen Menschen, die ein Leben lang darauf warten, dass ihnen irgendwann Gerechtigkeit widerfährt. Das Schicksal soll endlich sein Gesicht zeigen: Mag es zornig sein oder freundlich, nur endlich eine Regung, die ihm allein gilt. Aber irgendwann musste er sich eingestehen, dass der Künstler Fabio Gregorat vom Leben übergangen worden war. Was nichts daran änderte, dass er weiter malte. Unermüdlich, auch wenn er niemanden daran teilhaben ließ. Über persönliche Dinge hat er ohnehin nie geredet. Vermutlich wurde er auch nie gefragt in einer Weise, die ihn angesprochen hätte.

Er hat sich ein anonymes Grab gewünscht. Unauffindbar für die Freunde und die wenigen Verwandten, von denen nur einer ihm wirklich nahe stand. Ein Seelenverwandter in Portugal, den er nicht einmal gekannt haben wird: der Hilfsbuchhalter Bernardo Soares aus Fernando Pessoas „Buch der Unruhe“. Als Schreiber war Soares ähnlich ausdauernd wie Fabio als Maler; am Roman seines Lebens schrieb er, Seite um Seite, unermüdlich, ohne dass zu Lebzeiten je jemand davon Kenntnis genommen hätte. Das ließ ihn traurig werden, und sehr stolz: „Ich bin nichts. Ich habe nichts. Und werde nie etwas sein. Dennoch sind in mir alle Träume dieser Welt.“

Zur Startseite