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Wirtschaft: Geb. 1935

Mit seiner Freundin fuhr er nach Damaskus. Und stellte sie der Familie vor.

Mit seiner Freundin fuhr er nach Damaskus. Und stellte sie der Familie vor. Dass sie verheiratet seien, sagten sie. Eine Lüge? Nein, so muss man das nicht sehen.

Yassin war der erste, der den n nach Berlin brachte: Tarabichi – man spricht das „ch“ wie ein „sch“. Bis vor einigen Jahren gab es den Familiennamen nur ein einziges Mal in Berlin. Die Behörden waren sich nicht sicher, ob die Schreibweise stimmte, aber einen amtlichen Nachnamen musste der junge Syrer aus Damaskus schließlich bekommen. „Hutmacher“ bedeutet der Name im Arabischen und leitet sich von „Tarbousch“ ab. Das ist die orientalische rote Filzmütze mit der Schnur und der Bommel.

Yassin Tarabichi stammte aus einer kinderreichen Familie, hatte drei Schwestern und vier Brüder, er war der älteste Sohn. Die Geschwister wurden von den Eltern verheiratet, nur Yassin nicht. Er ging zum Studieren nach Deutschland, ließ sich Zeit mit dem Heiraten, er wollte Architekt werden. Nicht, dass er niemanden kennen gelernt hätte, Yassin sah gut aus und machte Bekanntschaften, nur eben mit dem Heiraten hatte es keine Eile. Schnell lernte er Deutsch, wohnte zur Untermiete bei freundlichen West-Berliner Damen und jobbte als Fahrer des CDU-Wahlmobils, einem VW-Bus mit dröhnendem Megaphon auf dem Blechdach.

Aber dann, eines Abends traf er auf die Kartografie-Studentin Ursula, beim Tanzen in der „Eierschale" war das, dem Jazzlokal am Breitenbachplatz. Sie war die beste Freundin von Gydita, der Halbspanierin, mit der sein syrischer Freund Zuheir zusammen war.

Ursula gefielen Yassins dunkle, verschmitzte Augen. Er war charmant, kleidete sich modern, sein Haar glänzte schwarz. Sie wurden ein Paar.

Die Studienjahre vergingen, Yassin tat sich schwer mit der Architektur und wechselte zu den Bauingenieuren. Ursula unterstützte ihn, nicht nur materiell. Und sie lernte viel über die arabische Kultur. Daheim trug sie gern eine „Djalabia“, ein bequemes arabisches Alltagsgewand, das Freunde, die nachmittags zu Besuch kamen, für ein Nachthemd hielten.

Yassin nahm sie auch mit nach Damaskus und stellte sie seiner Familie vor. Die beiden gaben vor, sie seien verheiratet. Die Wahrheit hätte niemand akzeptiert: Noch waren Yassin und Ursula keine Eheleute, aber weshalb hätten sie den schönen Schein zerstören sollen? 1965 verwandelten sie ihn schließlich in Wirklichkeit und heirateten.

Ein Jahr später kam das erste Kind, vier Jahre darauf das zweite. Zwei Töchter, Nadda und Munia. Die Tarabichis waren eine ganz gewöhnliche Familie aus Berlin Wilmersdorf, und sie waren es auch wieder nicht, zwei Kulturen prägten ihr Zusammenleben.

Ein arabischer Vater, das sei das Beste, was einem als Kind passieren könne, schwärmen die Töchter, alles habe Yassin für sie getan, jede sei sein „allerliebstes“ Töchterchen" gewesen. Alle Wünsche hätte er zu erfüllen versucht, eine Rutsche hat er in die Wohnung gebaut, Picknicks unternommen und viel mit ihnen getobt. Nur für eine zweisprachige Erziehung reichte die Kraft nicht mehr.

Aus Kindern werden Teenager, und Teenager bekommen ihren eigenen Kopf, entwickeln eigene Vorstellungen vom Leben, treffen auf die Grenzen der Erwachsenenwelt und überschreiten sie, wollen ihre eigenen Erfahrungen machen, egal was die Eltern sagen. Die Familienidylle bei den Tarabichis wurde auf die Probe gestellt. Nadda kam mit einem Irokesenschnitt nach Hause. Es war die Zeit des Punk, der Sex Pistols und der zerstochenen Ohrläppchen. Yassin antwortete, indem er schwieg. Fast ein Jahr lang sprach er nicht mit seiner Tochter. Ihr war das recht, so konnte er ihr auch nichts verbieten. Er spracht mit ihr nur über die Mutter: „Sag meiner Tochter, dass . . .“

Vorbei war die Zeit, in der die beiden Mädchen bei den Damaskusbesuchen durch die verwucherten Hinterhöfe tobten, eine Ziege und ein Schaf zum Spielen bekamen als Ausgleich dafür, dass es in Berlin keine Haustiere gab. Vorbei auch die Jahre, in denen die Familie abends zusammenblieb und viel Zeit miteinander verbrachte, die gemeinsamen Essen am großen Tisch mit Couscous, frittiertem Gemüse, gefüllten Zucchini, Lammfleisch, Obst und Oliven, immer alles zugleich auf den Tisch gestellt, so wie man das in Syrien tut.

Lebensbeziehungen können zerbrechen, nicht nur weil es kulturelle Unterschiede und widerstreitende Mentalitäten gibt. Als seine Frau sich nach über zwanzig Jahren Ehe von Yassin scheiden lassen wollte, war er überrascht. Sie spürte, dass ihr der eigene Wille und die Freiheit abhanden gekommen waren.

Eine Zeitlang lebte Yassin nun allein, dann fasste er neuen Mut und heiratete ein zweites Mal, jetzt eine syrische Architektin aus Damaskus. Sie kam nach Berlin, noch einmal wurde Yassin Vater, die junge Chifaa schenkte ihm einen Sohn. Sie gaben ihm den Namen Houssein. Diesmal reichte die Kraft, der Junge lernte von Anfang an deutsch und arabisch, aber viel zu früh und völlig unerwartet starb Yassin.

Manchmal hatte er daran gedacht, später nach Damaskus zurückzugehen, in die Oasenstadt, in der aufgewachsen war und die er dem Regierenden Bürgermeister von Berlin 1997 einmal zeigte. Die deutsche Botschaft hatte Yassin engagiert, er besaß das staatliche Dolmetscherdiplom. Der Weg der Delegationen führte über die einschlägigen Touristenwege, durch die Altstadt, vorbei an den vielen Straßenverkäufern mit ihrem Nippes, weiter zur Omaijaden-Moschee, die an der Stelle des alten römischen Jupitertempels steht. Der Berliner Bürgermeister wollte von seinem Kollegen aus Damaskus wissen, wie es hier um die Arbeitslosigkeit stünde. Yassin ahnte die Antwort, sie kam, und er übersetzte sie mit einem Schmunzeln: „Es gibt keine“. Über Schein und Wirklichkeit lässt sich streiten. Yassin, der Syrer aus Berlin, wusste das, er war lange genug in zwei Kulturen zu Hause. Stephan Reisner

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