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Wirtschaft: Geb. 1939

Ilonka Schuch

Während des Films klopft sie sich auf die Schenkel: Kööööstlich! Kurz darauf stimmt sie mit ein: Hollywoodverblödungskitsch!

Die Welt teilt sich in Hundehalter und Hundehasser. Der eigene Hund macht keinen Lärm, er bellt nur. Er beißt auch nicht, er spielt; wenn er die Zähne fletscht, wird Frauchen flöten: „Ach, der will doch nur spielen!“

Ilonka Schuch liebte Hunde, aber ein Frauchen war sie nicht. „Leinen Sie doch Ihren Hund an!“, brüllte sie gelegentlich, aber nur wenn ihr eigener Liebling bedroht wurde. In einem solchen Fall war Leinenzwang ein dem Gemeinwohl dienendes Gesetz – sonst nichts als Staatswillkür. Deshalb war sie eine der Initiatorinnen des „Aktionskomitees gegen den Leinenzwang im Tiergarten“.

Irgendwo dort, Ilonka unterwegs mit einer Freundin – und den Hunden natürlich. Ihr Gang: schnelle, ausgreifende Schritte, den Kopf immer etwas schräg, fragend. Plötzlich berittene Polizei: „Sie wissen, dass Sie Ihren Hund…“ „Ja, ja, weiß ich doch alles.“

„Na dann …“, ermahnt der Polizist.

„Tut mir leid, ich muss jetzt Pinkeln!", unterbricht sie. Und verschwindet ins Gebüsch.

„Aber, aber“, ruft die Polizei hinterher, „das ist hier doch auch verboten!“

1969 war das Jahr, in dem sich Lesben und Schwule in der New Yorker Christopher Street gegen eine schikanöse Polizeirazzia zur Wehr setzten. Es war auch das Jahr, in dem Ilonka Schuch ihr Coming-out hatte. Die Orte ihrer Initiation: Sappho. Pour Elle. Frauenkneipen, in denen gemeinsam Abstand von den anerzogenen Ängsten, Zutrauen zur eigenen Orientierung gewonnen wird. Dann die Uraufführung des Praunheim-Films „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“. Die sexuelle Befreiung, die politische. Ilonka tritt der Homosexuellen Aktion West-Berlins bei, arbeitet in der Friedensfrauengruppe. Und sie ist natürlich vor Ort bei der alljährlichen Siegesparade der Alliierten. Allerdings mit heruntergelassenen Hosen. Ihr Gruß ans Militär.

Eine mutige Frau, ein schönes Gesicht, energische Gesten, und dann wieder impulsiv wie ein Kind und verletzlich. Zweiter Bildungsweg, Studium der Medizin. Eine Ärztin, die im Krankenhaus am Bett der Patienten weint. Zu weich in den Augen der Kliniker. Dann die eigene Praxis.

Daheim in der Glasvitrine dutzende Flusspferde. Große, kräftige Tiere, deren Stärke imponiert, ohne Angst einzuflößen – sofern man ihnen nicht leibhaftig begegnet.

Widersprüche allenthalben. Sie kann in einen Film von Cher gehen, Schenkel klopfend, Tränen in den Augen vor Lachen: „Das ist köstlich! Kööööstlich!“ Und dann, kaum dass das Licht angeht, stimmt sie in die Buhrufe der anderen ein: „Hollywoodverblödungskitsch!“

Die großen Themen bewegen sie, wühlen sie auf: Die Schlechtigkeit der Welt im Allgemeinen und im Besonderen, darüber kann sie mitreißend monologisieren, ganz gleich bei welcher Gelegenheit.

Zwei Filme, drei Essen, und mal in Ruhe quatschen, das alles an einem Abend. Kein Wunder, dass sich die vielen Bekannten und Freunde beim Begräbnis mit dem Satz grüßten: „…und wir wollten uns gerade treffen!“

Sie war unglaublich beliebt, aber beliebt sein heißt auch, sich selbst verausgaben. Das kann bis zur Verschwendungssucht führen.

Ein Vogel sitzt in einem Käfig. Die Tür wird von unsichtbarer Hand geöffnet. Er legt den Kopf schräg und denkt: So werdet ihr mich nicht los. Der Käfig der Gewohnheit.

Natürlich stöhnte sie unter den Verpflichtungen, aber einen leeren Terminplan hätte sie nicht ertragen. Sie nahm sich Zeit für jeden Patienten. Unsinnig viel Zeit – unter Rentabilitätsgesichtspunkten. Aber vernünftige Menschen gibt es ja schon viel zu viele.

Wenn ein Tier am Straßenrand lag, tot, beerdigte sie es. Wenn es verletzt war, nahm sie es mit nach Hause, pflegte es. Wenn es unheilbar krank war, schläferte sie es ein. Das Recht auf einen würdigen Tod hat jede Kreatur. Nicht so sterben müssen wie die Mutter: qualvoll, an Krebs.

Und dann die eigene Diagnose: Brustkrebs. Die Probe auf die Freundschaft: Wirst du mir helfen zu sterben, gibst du mir ein Mittel? Es kam nicht dazu, sie starb nicht am Krebs. Aber die Erschöpfung nahm zu, und wohl auch das Gefühl, nicht aus der eigenen Haut zu können.

Hundehalter sprechen mit ihren Hunden und sind der festen Überzeugung, dass ihre Hunde sie verstehen – was daran liegen mag, dass sich Hundehalter zumeist nicht sonderlich kompliziert ausdrücken: Gassi, Gassi.

Ilonka sprach anders mit ihren Hunden, erst recht mit ihrem letzten, Jacques, einer Promenadenmischung, die sie in Griechenland aufgelesen hatte. Ein Streuner, wie sie selbst es auf gewisse Weise auch war, ein nomadisches Ego, immer auf der Suche nach etwas, das es nicht gibt.

Als Jacques eingeschläfert werden musste, brach ihr das Herz: „Ich verlasse dich nicht.“ Sie hielt Wort: Kaum vier Wochen später starb sie selbst an einer Thrombose.

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