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Wirtschaft: Geb. 1943

Gerlinde Salomon

Sie fragte beim Museum für Naturkunde nach, wie Fliegen an der Zimmerdecke landen.

Bei der Geschichte mit dem Kartoffelsalat, da war sie mal dabei. Sonst nicht so oft. Diesmal ging es darum, denjenigen zu küren, der den besten Kartoffelsalat der DDR zubereiten konnte. Mehr als 300 Köche hatten sich beim Fernsehen gemeldet, Gerlinde Salomon hat mit allen gesprochen, hat sie zum Drehtermin eingeladen, hat die Massenanreise organisiert – und musste, da es nun mal so viele waren, mitkommen zum Drehen, dort weiter organisieren, die Leute betreuen, Extrawünsche erfüllen, viel Geduld haben. Das war ihr Job, das konnte sie, dafür waren ihr die Kollegen von der Redaktion „Außenseiter Spitzenreiter“ sehr dankbar.

„Außenseiter Spitzenreiter“, das war eine Sendung des DDR-Fernsehens, die wohl deshalb so beliebt war, weil man hier skurrile und vor allem wahre Geschichten aus der DDR erfuhr. Weil sie hier zum Beispiel mal eine Warteschlange vorm Bäcker filmen konnten, real existierende Versorgungsmängel waren sonst kein Thema im DDR-Fernsehen. Für diese Sendung mussten die Anstehenden einen Kanon singen, „Wachet auf, wachet auf, es krähte der Hahn.“

Gerlinde Salomon war diejenige, die das alles in die Wege leitete. Diejenige, die zum Beispiel beim Professor im Naturkundemuseum anrief, wenn es um die Zuschauerfrage ging, wie denn eigentlich eine Fliege an der Zimmerdecke landet – mit einem Salto vor der Landung tut sie’s. Gerlinde Salomon las die Briefe an die Redaktion, viele Tausend waren es vor jeder Sendung, sie fragte an, wann man wo drehen konnte, sie kochte Tee und schmierte Stullen, wenn die Kollegen mitten in der Nacht im Schnittstudio saßen. Und sie war beim Drehen dabei, wenn es dort mal mehr zu tun gab.

Wie eben bei der Kartoffelsalatgeschichte. Da war sie es auch, der der Wettbewerb den Clou zu verdanken hatte: Sie setzte sich für eine Dame ein, deren Salat zunächst bei der Verkostung vergessen worden war. Die Juroren nahmen nun noch einen Schlag davon, befanden ihn für vorzüglich, gut für den zweiten Platz, und als die Dame bei der Siegerehrung vor der Kamera verriet, dass da überhaupt keine Kartoffeln in ihrem Kartoffelsalat waren, dafür Sellerie, Kohlrabi und viele andere Sachen, da war der Spaß gerade gut für die Sendung.

An diese Geschichte erinnern sie sich noch gern bei „Außenseiter Spitzenreiter“. Es gibt die Sendung noch, sie hat die Wende überstanden. Wie es kam, dass Gerlinde Salomon sich nach ihrer Entlassung nicht mehr meldete, können sie nicht so genau sagen. „Irgendwie beleidigt muss sie wohl gewesen sein, gekränkt.“

Zum 31. Dezember 1991 waren alle Mitarbeiter des ehemaligen Fernsehens der DDR entlassen worden, der Sender wurde aufgelöst. Wer seine Arbeit fortsetzen wollte, musste das entweder bei den Westanstalten versuchen oder auf eigene Rechnung weitermachen. Ein jeder war sich selbst sehr nah, und viele Leute wussten gar nicht, wie ihnen geschah. Gerlinde Salomon war nun 48 Jahre alt, war mehr als 20 Jahre die Zuverlässige gewesen, die, die alles zusammenhielt, sie hatte Kollegen im Krankenhaus besucht, hatte sich auch um Kuren und um Wohnungen gekümmert. Jetzt war sie überflüssig.

Der Moderator von „Außenseiter Spitzenreiter“ und ein anderer Redakteur gründeten eine GmbH und sahen, wo sie blieben. „Gerlinde hätte bestimmt auch irgendwo weitermachen können“, heißt es. Mag sein.

Sie hat es beim Fernsehen gar nicht mehr versucht. Ein paar Wochen war sie arbeitslos, dann verhalf ihr eine Freundin zu einem Job beim Humanistischen Verband. Wieder war sie Organisatorin, wieder Mädchen für alles. Sie half jetzt Säufern, Ahnungslosen, Leuten, die gescheitert waren. Kümmerte sich um Wohnungen und Formulare, half auf dem Sozialamt weiter. Wochenlang hat sie für einen Obdachlosen nach einem Heim gesucht, in das er seinen Hund mitnehmen durfte.

Mit ihrer Chefin hat sie sich nie sehr gut verstanden. Als sie ihre Kündigung erhielt – „aus Kostengründen“ –, da war Gerlinde Salomon ganz sicher, dass dies der Grund nicht war. Eine Woche, bevor sie sich beim Arbeitsamt melden sollte, nun 58 Jahre alt, war sie beim Arzt. Der diagnostizierte Krebs.

Gerlinde Salomon hatte genügend Gründe, die neue Welt, die nach der DDR, nicht sonderlich zu lieben. Ihre besten Jahre lagen lang zurück – könnte man meinen. Wie aber, wenn nicht in der neuen Welt hätte sie den Geliebten ihrer letzten Jahre treffen können? Er war Amerikaner, hatte sich in einem Café an ihren Tisch gesetzt und blieb an ihrer Seite bis zum Schluss.

„Schreiben Sie“, sagt ihre Tochter, „dass es meiner Mutter gut ging. Sie konnte das Leben doch genießen.“ David Ensikat

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