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Wirtschaft: Geb. 1943

Yvonne Stangos

Sie hatte ein ungeheures Talent, Menschen zu bezaubern, zu erdrücken und schließlich zu verlieren. Weil sie sich in einen Revolutionär verliebte, las sie Marx und Lenin.

Wer weiß, was geschehen ist hinter verschlossenen Türen, als Yvonne noch klein war. Wer weiß, was der Vater ihr angetan hat. Psychisch krank soll er gewesen sein, ein grausamer Mann. Es war eine düstere Kindheit, das hat auch die Mutter nicht ausgleichen können, mit ihrem stillen Leiden und den teuren Geschenken. Was geschehen ist hinter verschlossenen Türen, hat Yvonne nie verlassen. Es hat einen liebeshungrigen Menschen aus ihr gemacht, einen erlebnissüchtigen Menschen, immer auf der Suche nach diesem einen Leben, das sie endlich glücklich machen würde, es hat einen Menschen aus ihr gemacht mit ungeheurem Talent, andere zu bezaubern, zu erdrücken und schließlich zu verlieren.

Yvonne Stangos war schön. Rote Haare, grüne Augen, schlank und groß. Sie war immer elegant, trug Leder, Seide und Kaschmir. Fast immer hatte sie Röcke an, schon an der Uni, selten Hosen. Die Konventionen saßen tief im Mädchen aus gutbürgerlichem Haus, und sie haben einen ständigen Kampf in ihr geführt gegen das Andersseinwollen. Den Ausbruch hat sie nie ganz geschafft, aber da waren ja die Freunde, die das Leben mitbrachten, Revolutionäre und Linke aus der „Roten Zelle Germanistik“, die das Establishment verfluchten, die sich mit den Vietcong identifizierten und im Johannesstift alte Nachthemden besorgten, um sie umzufärben und auch das Diktat der Mode noch lächerlich zu machen. Yvonne war weder Hippie noch Kommunistin. Politisch war sie nur aus Liebe.

Als Yvonne studierte, hatte in Griechenland das Militär gerade die Macht übernommen. In Berlin traf eine Welle von Flüchtlingen ein: Intellektuelle, Studenten, Untergrundkämpfer. Es war die Zeit, in der das Terzo Mondo an der Grolmanstraße jeden Abend voll war mit linken Protestlern. Nächtelang diskutierten sie, schrieben Thesenpapiere für Flugblätter, und die, die sie verwarfen, ließen sie als Papierflugzeuge an die Decke sausen, wo sie stecken blieben. Im Terzo Mondo erschien Yvonne mit Petros, einem hageren Griechen mit dunklen Augen; ein scharfgeistiger, schöner Mann, Idealist mit einem Ziel, dem er alles andere unterordnete: Griechenland befreien von der Junta, notfalls mit Gewalt.

Bei Yvonne Stangos geschah alles mit einem Knall, mit dem größtmöglichen Kraft- aufwand. Sie hatte sich in Petros verliebt, also hat sie Marx und Lenin gelesen, hat Propagandamaterial verteilt und Petros’ Partei-Freunde beherbergt und bekocht. Petros hatte „Ekke“ mitbegründet, eine revolutionäre kommunistische Bewegung nach maoistischem Vorbild. Es war nicht leicht für Yvonne, sich an Kadergehorsam und Dogmatismus zu gewöhnen, ihr Antrieb waren mehr die Gefühle. Aber sie tat es, sie machte Petros’ Welt zu ihrer. Da war er endlich, der Ausbruch – aber andersherum vereinnahmte sie Petros auch, liebte maßlos, maßlos eifersüchtig.

Als Petros in Griechenland verhaftet wurde, tat Yvonne viel, um ihn frei zu bekommen. Doch als er endlich entlassen wurde, und sie losfuhr, um ihn abzuholen, da hatte er sich schon in eine andere Frau verliebt. Für Yvonne war das der Absturz.

Man sagt, die Menschen suchen sich immer den gleichen Typ als Partner aus, selbst wenn sie wissen, der tut ihnen nicht gut. Alle Männer von Yvonne Stangos waren so: zur Leidenschaft fähig, die Ehrlichkeit in den Augen, aber auch unstet. Männer, in die Yvonne sich gerade ihrer Freiheitsliebe wegen zu verlieben schien, um sie dann mit aller Macht zu verändern.

Archileas war der zweite Mann, der ihr das Herz brechen sollte. Er war jung, ein blonder Grieche, ein begabter Musiker, der gerne in den Tag hineinlebte. Yvonne liebte das – aber sie wollte auch, dass er aufhört mit der Straßenmusik, er sollte Noten lernen und aufs Konservatorium gehen. Auch Archileas hat nach einigen Jahren die Flucht ergriffen.

Nie hat Yvonne aufgehört, ihre beiden Männer zu lieben. Kräfte hat das gezehrt. Und dann kam die Einsamkeit, und Yvonne wurde rastlos im Betreiben, sie zu lindern.

Die Freunde waren nun bürgerlich, hatten Familien gegründet. Manchmal, wenn sie sich lange nicht gemeldet hatten, schrie Yvonne sie an am Telefon. Sie war Privatlehrerin, Kollegen hat sie nie gehabt. Sie lebte in der großen Wohnung, die sie von der Mutter übernommen hatte, schwere Möbel, schwere Vorhänge, große Büfetts, und in jeder Ecke hockten die Geister und flüsterten von der Stille und vom Alleinsein. Yvonne hat ihr Leben durch andere geführt, sagen die Freunde. Immer, wenn irgendwo Nachwuchs da war, dann kam sie und spielte in ihren unpraktischen, eleganten Kleidern Mutter, ging mit den Kindern spazieren, spielte und fütterte mit Hingabe.

Immer mehr wurde sie, die Starke, Kluge, schließlich selbst zum Kind, spielte Kind, als sei das der Weg, Aufmerksamkeit zu erhaschen. Wenn die Freundin abends gehen wollte, dann wurde Yvonne immer ganz lebhaft, um das Alleinsein hinauszuzögern: zeigte ihr dies und fragte sie jenes mit hohem Stimmchen – ach, Brigittchen, ach, Herzchen, ach, ein bisschen ist mir schlecht, willst du nicht was essen, kannst du nicht noch bleiben?

Sie nahm Hormone, um die Spuren des Alterns zu tilgen, sie kaufte Cremes, machte Kuren und sich selbst zehn Jahre jünger. Dass sie fast 60 war, wusste niemand, hatte sie doch vor kurzem erst Geburtstag gefeiert und gesagt, es sei ihr fünfzigster. Yvonne wollte die Zeit anhalten, sagen die Freunde, als verschaffe ihr das noch eine Chance, den einen Menschen zu finden, den das Leben ihr schuldet.

Wenig hat im Leben der Yvonne Stangos so geklappt, wie sie es sich gewünscht hat; aber der Tod war gnädig. Jung und schnell ist sie gestorben, an einem Gehirnschlag. Am nächsten Tag hatte sie ein Trampolin kaufen wollen, um die Beine straff und schön zu halten.

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