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Wirtschaft: Geb. 1945

Holle Schmid

Wenn die Abendsonne ihr mildes Licht verbreitete, saß sie auf „Struners“ Kajüte und malte Aquarelle.

Nie wäre sie in ein frei stehendes Haus gezogen. So ein Haus, ganz allein macht melancholisch. Besonders, wenn man hinausschaut und niemanden sieht, dem man Guten Morgen wünschen könnte. Ein Haus, ohne den Schutz der Gemeinschaft anderer Häuser. Man muss doch zusammenstehen im Leben.

Nie wäre sie auf ein Segelboot gestiegen. So ein kippeliges Ding macht Angst. Liegt viel zu schräg im Wasser. Kann man den Halt verlieren, vielleicht sogar sein Leben. Nervenkitzel? Abenteuer? Geh du man segeln, Volker. Und komm heil wieder!

Holle? Wie heißt du denn wirklich? Kommt das von Frau Holle, die mit den Bettfedern? Dann erzählte sie von der Sagenfigur aus der germanischen Mythenwelt. Und von ihren Eltern, strammen Nationalsozialisten, die mit der Namensgebung auch ein politisches Bekenntnis verbanden. Diese Haltung hat sie später belastet, aber nicht der Name. Den liebte sie.

Frau Holle kommt im Märchen doch recht gut weg. Das gute Hausmädchen belohnt sie mit einem Goldregen, das schlechte bestraft sie mit Pech. So in die Extreme gingen Holles Erziehungsmethoden nicht. Sie waren eher modern: Ein Kind braucht viel Platz zum Spielen und viel Freiheit im Denken. Es soll seinen eigenen Tagesrhythmus haben und nicht in einen Laufstall gesperrt werden. Holle war gelernte Erzieherin und hat ein Modellprojekt des „Arbeitskreises Neue Erziehung“ geleitet.

An Emili, ihrer Tochter, konnte Holle die neue Erziehung ausprobieren. Nicht alles fand Emili früher gut, aber das meiste im Nachhinein schon. Wie wichtig ihre einzige Tochter für Holle war, steht in dem Buch, das sie über Emili schrieb. Ein ungewöhnliches Buch, in dem die Tochter jetzt alles nachlesen kann, was andere Kinder nie erfahren: Ihr Leben, von Anbeginn an. Dort, zu Anbeginn, reichten zur Beschreibung ein paar Fakten: „Schlafen, 90 Gramm Milumil, Baden, Schlafen, Windel voll.“

Holle schrieb auch für sich ein Tagebuch. Zu besonderen Anlässen machte sie Fotocollagen oder Zeichnungen. Emili weiß deshalb noch ganz genau, wie das Buffet zur Feier ihrer Konfirmation ausgesehen hat. Es gab Hackepeter, Rollmöpse, Matjessalat, Soleier und Tsatsiki. Dazu Brot und Obst. So ein Buffet plante Holle schon eine Woche im Voraus, kümmerte sich um Rezepte, fragte Freundinnen oder ihre Schwiegermutter um Rat. Die Küche war ihr strategisches Hauptquartier. In den Schränken hingen Zettel mit genauen Angaben zur Lagerhaltung von Mehl, Korinthen oder Backpulver. Abends programmierte sie die Kaffeemaschine, damit der Tag morgens um sieben mit dem richtigen Aroma begann.

In die sichere Ordnung ihres Lebens hinein platzte eines Tages die böse Nachricht vom Brustkrebs. Da war sie erst 44. Holle gab die Devise aus: Ich bin krank, aber sonst läuft alles weiter wie bisher. Sie zog sich nicht zurück, gewann eher neue Freunde hinzu. Sie ging in die „Krebsgruppe“, tauschte Informationen über Ärzte und Therapien aus, gab Interviews im Radio. Über Todesanzeigen in denen „Nach langer schwerer Krankheit…“ stand, ärgerte sie sich. Warum diese Angst, die Dinge beim Namen zu nennen? Die Krankheit heißt Krebs. Damit muss man leben und sterben. Vor allem leben.

Sie stellte ihre Ernährung um, trieb Yoga, rief Körnerwochen aus, kneippte nachts in der Badewanne, um sich danach mit nassen Beinen ins Bett zu legen, wälzte Fachliteratur. Der Krebs ging in Deckung, doch wenn sie schon fast glaubte, er sei verschwunden, kroch er wieder hervor.

Inzwischen hatte Holle das Wasser entdeckt. Das langsame Dahingleiten über friedliche Seenplatten – natürlich auf einem breiten, gutwilligen Motorkahn. Wenn die Abendsonne ihr mildes Licht verbreitete, saß sie auf „Struners“ Kajüte an einem kleinen Tisch und malte Landschaftsaquarelle. Struner, der holländische Kahn, wurde bald ein lieber Gefährte. Mit ihm verbrachte sie auch ihren letzten Urlaub. Gleich danach musste sie ins Krankenhaus. Die Metastasen waren jetzt auch im Gehirn.

Volker, mit dem sie 35 Jahre verheiratet war, sagt, sie sei eine leidenschaftlich Liebende gewesen. Ein Menschenmensch. Sie wollte leben. Und dann konnte sie es nicht mehr.

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