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Wirtschaft: Geb. 1946

Wolfgang Kogge

Wolfgang Kogge

Es ist ja nicht so, dass jene Fußballspieler, die uns auf den großen bunten Fotos entgegengrätschen und deren Namen in den Zeitungsüberschriften stehen, auch die leidenschaftlichsten sind. Wer schreibt schon über den zähen Kampf in der Bezirksliga? Mehr als 100000 Männer und Frauen packen in Berlin regelmäßig ihre Trikots und ihre Fußballschuhe, die man aus unerfindlichem Grund „Töppen“ nennt, in ihre Taschen und fahren auf den Sportplatz, um mit Freunden und Gegnern gegen den Ball zu treten. Sie spielen nicht für Geld, sie spielen nur, weil es ihnen Spaß macht.

Einer von ihnen war Wolfgang Kogge. Eigentlich nannten den schlanken Blonden mit dem Oberlippenbart und den lachenden Augen alle nur Hennes; den Namen haben sie ihm vor langer Zeit auf dem Spielfeld verpasst. „Hennes, deiner!“, riefen sie, wenn aus dem Mittelfeld der Ball geflogen kam, den der Halbstürmer wie weiland Fritze Walter annehmen, weiterspielen oder, noch besser gleich selbst ins Tor befördern sollte. Hennes? Da gab es einen Stürmer beim VfL Bochum, der hieß Hennes Walitza und bewegte sich so wie Wolfgang Kogge, aber das ist so lange her, dass sie heute selbst beim VfL ins Grübeln kommen, wann der Ruhrpott-Hennes seine Glanzzeit hatte. Irgendwie in den siebziger Jahren war’s. So lange schon (und länger) lief der Hennes von Berlin über den Platz.

In einem dicken Aktenordner hat er die Belege seiner Laufbahn abgeheftet, Fotos und Artikel aus der Zeit, nachdem er mit der Mutter aus Potsdam in den Westen geflüchtet war. Hennes hatte nicht nur den Ehrgeiz, einer der besten Amateurfußballer zu sein, er war auch ein wandelndes Fußball-Lexikon. „Der wusste alles“, sagen die Freunde, wer wann gegen wen warum gewann oder verlor. Eine kleine Rarität in Kogges Ordner ist ein „Ehrenbrief“ zum Gewinn der Staffelmeisterschaft 1968/69; damals stieg Hennes’ BBC Südost 1950 in die Amateurliga auf. Solche Spiele lockten über tausend Zuschauer, mehr noch kamen, wenn er mit der Berliner Amateurauswahl aufs Spielfeld lief. Später kickte Hennes für den Lichtenrader BC, einen Verein mit heute 26 Jugend- und acht Männermannschaften. Das ist nämlich so: Die Männer heißen, bis sie 32 sind, „Herren“, ab 32 „Senioren“, dann, ab 40, folgt die „Altliga“, und „Ü50“ sind die über 50-Jährigen. Wer wagte es schon, von „Uralt-Herren“ zu reden.

Wolfgang Kogge war der Organisator und die Seele. Auf ihn war Verlass, immer war er da. Zwischen 1973 und 2002 ließ er sich kein einziges Mal krankschreiben. Er lebte durch und durch gesund – nach dem Spiel, wenn die anderen ein Bier bestellten, trank Hennes, jedenfalls in seiner Jugendzeit, nur Milch. Wenn da die Freunde lästerten, dann lachte auch er, machte seinen Spaß und sah die Welt zuallererst von der positiven Seite. Kogge gehörte zu denen, deren Glas immer halb voll ist, nie halb leer.

Das sagen alle, die ihn kannten, nicht nur vom Fußball. Zehn Jahre lang arbeitete er als Speditionskaufmann, danach verkaufte er Salzgebäck und stieg in der Hierarchie der „Intersnack Knabber-Gebäck GmbH“ auf, bis er 2001 Leiter der Berliner Niederlassung wurde. Sein Vorgänger in dieser Funktion war während einer Fahrradtour beim Wochenendseminar neben ihm tot vom Rad gefallen.

Eines Tages wurden dem Fußballer die Hüftgelenke zum Problem. Sportlerherzen vergrößern sich im Laufe der Jahre, Hüftgelenke werden durch den Sport abgenutzt und zerstört – wenn man sie nicht erneuert. Für den Fußball mach’ ich alles, da lass’ ich mir auch noch ein neues Hüftgelenk in den Körper operieren, sagte Hennes. Neun Tage nach er Operation kam er aus dem Krankenhaus, spielte bald fünf, dann zehn Minuten lang, schließlich wieder zwei mal 30 Minuten, wie es bei den Ü-50-Spielern üblich ist. Hennes lief wie neu geschmiert. Nur auf den Flughäfen schlugen die Sicherheitsschleusen Alarm, auch wenn er Uhren, Portemonnaie und Schlüssel abgegeben hatte. Das Hüftmetall gehörte zu ihm wie die Muskeln, das Herz, der Kreislauf.

Anfang Februar fuhren sie nochmal gemeinsam ins geliebte Tirol, Hennes und Waldtraut mit Tochter Mädy und Sohn Ulf. Dann kam dieser Freitag, der 13. Februar. Hennes sagte wie immer an solchen Abenden tschüss!, nahm seine Sachen, schwarze Hose, weißes Trikot mit der Nummer 8, und fuhr zum Auswärts-Punktspiel seines Lichtenrader BC beim SC Siemensstadt zum Platz am Rohrdamm.

Hennes ist nie als Hitzkopf aufgefallen, „er hat immer die beste Lösung des Problems gesucht“, sagt sein Sportfreund Norbert Tonndorf, „auf dem Platz wie im richtigen Leben“. Er wollte mindestens bis 60 spielen; das älteste Mitglied in seinem Verein war 80, ein Torhüter bei Adler Mariendorf stand noch mit 75 im Kasten, selbst nachdem er vom Obstbaum gefallen war und sich Arme und Beine gebrochen hatte.

Harte Burschen.

Zur Halbzeit haben die Siemensstädter ein Tor mehr. In der Pause beruhigt Hennes seine Leute: „Wir schaffen das! Das Tor holen wir auf, macht weiter so, bleibt cool“. Einmal, nur kurz, so erinnern sie sich später, muss er ganz tief Luft holen. Aber darf nicht auch ein 57 Jahre alter Nichtraucher mal schwer atmen nach einer halben Stunde Fußball?

Wiederanpfiff. Sie stürmen. Hennes fällt auf dem Rasen um und bleibt liegen. Das Spiel ist aus.

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