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Wirtschaft: Geb. 1948

Hans Dasch

Hans Dasch

Als Kind wollte er Busfahrer werden. Alle Tanten, Onkels, Cousins, Cousinen, Omas, Opas, die Schwester und die Eltern hinten rein, und er, Hans, würde den Motor anlassen und alle in der Gegend herumfahren. Er würde sich in die Kurven legen, dass die hinten nur so juchzten und johlten, und wenn es geradeaus ginge, würde er singen, einen Kanon, damit alle einstimmen können. Fast ist es so gekommen, aber nicht ganz.

Hans Dasch wurde Richter, Jugendrichter, geachtet und geschätzt, so beliebt in der Zunft, dass mancher fand, es könne noch als Freude gelten, von Hans Dasch verurteilt zu werden. Aber gesungen hat er viel, im Chor, zu Hause und manchmal auf der Bühne. Das mit dem Bus hat er nicht vergessen – als Renate, seine Frau, vor 20 Jahren sagte, sie sei wieder schwanger, meinte er voller Freude und Glück: Jetzt kaufen wir uns aber einen Bus. Da hatten sie schon drei Kinder, die waren zehn, acht und fünf Jahre alt.

Die Kinder, die Frau, die Konzertsängerin war und nun Gesangsunterricht gab, das kleine Häuschen mit den rustikalen Holzmöbeln, den bekritzelten Wänden, den vielen Instrumenten: ein kleines Paradies in Zehlendorf. Am Anfang, als Hans Dasch gerade fertig studiert hatte und das erste Kind unterwegs war, da kam er mit seiner Frau zu dem Entschluss, dass er besser Richter würde als Anwalt. „Sonst sitze ich ja nur in der Kanzlei.“ Er fand die Stelle als Jugendrichter – und später haben seine Kinder oft mit ihm geschimpft, er sei zu seinen verurteilten Straftätern viel netter als zu ihnen.

Neben dem Richteramt hat Hans Dasch die Jugendarrestanstalt Kieferngrund geleitet und auf den Kopf gestellt. Er führte Sport- und Hobby-Angebote ein und Fußball- und Volleyballturniere gegen Richter und Bedienstete. Er hat die Gefängnisseelsorge unterstützt und für Jugendliche, die zur Freizeitarbeit verurteilt waren, Stellen gesucht. Er hat bei so vielen Initiativen, Aktionen und Veranstaltungen mitgemacht, dass er eigentlich auch Anwalt hätte werden können.

Nach der Geburt des Jüngsten kauften sie einen Chrysler Van, so einen mit drei Sitzreihen, ein Mini-Bus. Der wurde zum rollenden Restaurant, wenn es in die Ferien ging. Hans Dasch war derjenige, der sich um alles kümmerte. Er suchte die Routen aus, er überprüfte das Auto und kümmerte sich um die Verpflegung. Stundenlang stand er in der offenen Küche und schmierte Brote, während hinter ihm die vier Kinder kreischend umeinander liefen und seine Frau Noten zusammensuchte. Hans Dasch packte die Kühlbox und den Bastkorb, die Wasserflaschen klemmte er unter den Sitz, die Koffer und Taschen schnürte er aufs Autodach. „Wundervolles Arbeiten“, sagt er, wenn es glatt lief, oder er summte vor sich hin. Oft war schon an der DDR-Grenze, an der sie ewig warten mussten, der ganze Proviant längst aufgegessen.

Aber die Lieder, die sind ihnen nicht ausgegangen. Entweder sangen sie selbst, die Mutter mit dem Sopran, der Vater mit der kräftigen Stimme und die Kinder voller Begeisterung. Oder Hans Dasch schob die Beach Boys-Kassette in den Rekorder, und alle sangen mit.

Die Kinder wurden größer, und es stellte sich heraus, dass sie ziemlich chaotisch waren. Gar nicht wie der Vater. Weil bei dem alles so schön ordentlich war, bediente man sich an seinen Sachen. Die fand man wenigstens, wenn man sie brauchte. Deshalb begann er irgendwann, seine Sachen zu beschriften: „Dieser Tesafilm gehört nur Papa“. Genutzt hat das natürlich gar nichts. Und dann waren auch dauernd die BVG-Monatskarten weg. Zwei Stück gab es für alle, und wer sie benutzte, vergaß sie in seiner Hosentasche. Wenn Hans Dasch Bahn fahren wollte, waren sie natürlich nie da. Manchmal platzte ihm dann der Kragen, ständig kaufe er dies und ordne das und dann sei nie das am Platz, was er gerade brauche – „Ich bin doch hier der doofe Bruno!“

Also bastelte der Jüngste eine Tasche aus roter Pappe und hängte sie in den Flur. War die Karte drin, hing die Tasche gerade, wer sie herausnahm, musste sie schief hängen. Das war die „Umwelthaussegenskarte“. Oft hing sie schief.

Dafür waren die Kinder allesamt sehr musikalisch; sie spielten Klavier, Geige, Klarinette, Gitarre oder Trompete, eine Tochter studierte Gesang, gewann Nachwuchs-Wettbewerbe und bekam Engagements in Frankreich, und auch der ältere Sohn wollte Sänger werden. Das machte Hans Dasch stolz. Er erzählte Kollegen von den Kindern und lud sie ein zu deren Konzerten. Mit seiner ältesten Tochter, der Pianistin, war er mal für die „musikalische Untermalung“ zwischen zwei Reden auf der Jubiläumsfeier zu „20 Jahren Integrationshilfe“ zuständig: Die Tochter spielte Klavier, und der Vater sang mit rosa Federboa „Die Kleptomanin“ von Friedrich Hollaender. Erst staunte die Integrationshilfe, die damit nicht gerechnet hatte, und dann lag sie unterm Tisch vor Lachen.

Zwei Jahre später ist Hans Dasch auf einmal tot. Auf dem Weg zur Arbeit ist sein Herz stehen geblieben. Einfach so, mit dem Herzen hatte er noch nie etwas.

Hans Dasch hat die Menschen gemocht. Die guten sowieso und auch die bösen. Er hat den Unterschied nicht vergessen, zwischen dem Verurteilen einer Tat und dem Verurteilen einer Person. „Er hat gerichtet, als wolle er belohnen“, sagt einer, der ihn von der Gefängnisseelsorge kannte. Ein anderer erinnert sich, wie er Hans Dasch kennen lernte, bei einem Berufsanfängerseminar für Juristen in Bad Gandersheim. Zu dritt fuhren sie im Fahrstuhl zum Vortragsraum in den zweiten Stock. Hans Dasch summte ein Lied, einen Kanon, den die anderen – natürlich – kannten und als die Tür im zweiten Stock aufging, sangen sie ihn zu dritt. Sie sangen: Froh zu sein, bedarf es wenig, und wer froh ist, ist ein König.

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