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Wirtschaft: Geb. 1956

Rudolf Hermann Danker

Sich bloßstellen, ohne intim zu werden, dafür ist die Bühne der Platz.

Alles wird gut, blöken die Schafe. Wer will da nicht Wolf sein? Aber ein Wolf mit einem Kinderherz?

Ein großer, kräftiger Mann, die Haare immer kurz geschoren, stets dunkel gekleidet. Ein Mönch des eigenen Kummers, der gern den Kinderschreck spielte: Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? Und der sich wunderte, dass die Kinder ihn anstrahlten, weil sie seine Kostümierung nicht ernst nahmen.

Niemand kalt, niemand heiß, alle nur lau. Wer will da nicht in einer anderen Zeit leben? Tatmenschen um sich sammeln. Heroen des Herzens, im Guten wie im Bösen.

Sein Blutsbruder, Don Carlo Gesualdo, Fürst von Venosa, der seine Frau abschlachten ließ, weil sie die Liebe bei einem anderen fand, ein Sadist – und ein Komponist, der die schönsten Singstücke der Renaissance schuf. Ein Leben, das man so nur noch auf dem Theater führen darf. Danker hat es auf die Bühne gebracht, ohne ein einziges eigenes Wort, allein mit den Liedern Gesualdos.

Tausende Worte, Bilder, Gesten der Schwermut gibt es, hunderte Kronzeugen, dass die Hölle kein Ort im Jenseits ist, sondern in uns. Und unzählig sind die theatralischen Masken der Trauer darüber, dass Schönheit und Schmerz sich in einem brutalen Klammergriff halten. Jede dieser Masken war Rudolf Danker vertraut, jede Melodie hatte er im Ohr. Immer wieder ging er in die Museen, memorierte die Bildformeln der Melancholie. Einer der Menschen, die unendlich viel wissen, weil sie das Eine nicht verstehen – warum sie so traurig sind.

Er redete nie über sich, über seine Kindheit. Aus diesem Paradies war er vertrieben worden. Aber Verschweigen ist Komplizenschaft mit dem Bösen. Man bleibt in der Geiselhaft der Erinnerung. Wird nie frei.

Lieber in der Hölle daheim, als nirgendwo, denn es gibt keinen Weg zurück: „das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns; wir müssen die Reise um die Welt machen, und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist.“ Rudolf Danker hat Kleist beim Wort genommen und die Reise angetreten. Ein Vagabund seines Handwerks, des Musiktheaters, Umherreisender in Sachen Regie, nie auf den ganz großen Bühnen, aber dort, wo Theater noch Sache der Leidenschaft ist.

Die Schauspieler liebten ihn, weil er ein leidenschaftlicher Mensch war, der mit seinem Leben für die Kunst einstand. Und er liebte die Schauspielerei. Sich bloßstellen, ohne intim zu werden, dafür ist die Bühne der Platz. Rudolf Danker inszenierte sich, seine Obsessionen; aber immer nur in der Nachfolge anderer. Er brauchte Souffleure, die Seelen aufleben lassen können.

Kleist fand solche Formeln der belebenden Trauer, Phrasen, tausendfach nachgesprochen, nachgelitten: „Auf den Knien des Herzens.“ Ein seltsam unbeholfener Satz, und dennoch eines dieser geflügelten Worte, die nie ihren Zauber verlieren. Danker liebte Kleist, brachte auch ihn auf die Bühne, reihte Satz an Satz, Vers an Vers, und kam ihm doch nicht näher, weil er ihn nur als Kronzeugen des eigenen Kummers vorführte. Ein Kostüm der Worte, das nicht wärmen kann. „Die Nacht des Cherub“ – die Kleist-Collage hatte einen Tag nach der Beerdigung in der Neuköllner Oper Premiere. Danker hätte wohl, wie er es immer tat, nach der Vorstellung kleine rote Marzipanherzen an die Schauspieler verteilt.

Endlose Nachtspaziergänge ohne Ziel. Rudolf Danker verlor zusehends die Macht über die Dämonen, die ihn trieben. Er zerrte sie unter anderem n auf die Bühne, ließ sie dort ihren Höllentanz aufführen und fand doch keine Beruhigung im Applaus. Ein Regisseur ist dem Wiederholungszwang ausgeliefert, er hinterlässt nichts Aufgeschriebenes. Kein besseres Selbst im Werk. Man gelangt nie über sich selbst hinaus – es sei denn man übertrumpft die Tragik der Kunst durch das Leben.

Das mutige Messer ins eigene Herz – der Freitod; ein feiger Dolch in den Rücken der Freunde – Selbstmord. Die Motive gehen keinen etwas an, und doch wäre es wieder nur Teil der alltäglichen Feigheit, dem Pathos den Vorrang vor der Trauer über einen unnützen Tod zu geben. Rudolf Danker war ein Schmerz zugefügt worden, vielleicht auch nur ein kleiner Riss in einem Kinderherz, der sich im Alter zu einer unheilbaren Wunde auswuchs, und er starb am Ungenügen, diesen Schmerz mitteilen zu können.

„Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, gab mir ein Gott zu sagen, was ich leide.“ Der Teufel hilft da nicht weiter, sein Pakt ist immer nur einer auf Zeit, und die Höllenbilder der Qual, ob in Liebe oder Hass ausgemalt, wiederholen nur den Schmerz ohne Aussicht auf tatsächliche Erlösung.

Das richtige Wort wurde nie gesprochen; oder er wollte es nicht hören. Vielleicht griff Rudolf Danker deshalb zu den Schlaftabletten. Gregor Eisenhauer

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