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Wirtschaft: Geb. 1969

Die Liebe zu beichten, fiel schwer: Ein Araber und eine Türkin. Die Eltern wissen bis heute nichts von den ersten vier Jahren.

Die Liebe zu beichten, fiel schwer: Ein Araber und eine Türkin. Die Eltern wissen bis heute nichts von den ersten vier Jahren.

Maher Taibi hat sich ein gutes Leben in Deutschland aufgebaut, zum Schluss. Zweieinhalb Jahre vor seinem Tod war es endlich so, wie es sein sollte. Da hatte er Arbeit als EDV-Spezialist bei Rechtsanwälten am Potsdamer Platz. Er hatte Funda und das Kind, einen Jungen. Ein Mädchen wäre ihm zwar lieber gewesen, weil sich Mädchen um die Eltern kümmern im Alter, aber naja. Und er hatte die schöne Wohnung im Hochhaus bei der Deutschen Oper, mit Gardinen aus weiß-goldenen Volants, roten Sofas und blauen Teppichen. Besucher hat Maher immer gebeten, die Schuhe auszuziehen.

Im Wohnzimmer hat Funda den Tisch gedeckt. Säuberlich aufgereiht an den Tischenden stehen je eine Dose Fanta, Sprite und Cola neben einer Flasche Wasser. In der Mitte: Teller mit Baklava, Blätterteiggebäck in Zuckersirup mit Nüssen oder Pistazien. Die, die geformt sind wie eine Blüte, die mit den vielen Pistazien, hat Maher am liebsten gemocht, und das sah man ihm auch an. An der Wand hängt ein Hochzeitsbild: Maher, pausbäckig, Schnurrbart und Smoking, daneben Funda als bauschige, weiße Braut. Ihre Wangen haben sie aneinander geschmiegt.

Maher war 1989 nach Deutschland gekommen, mit 19. Damals sprach er noch kein Wort Deutsch und schlief jede zweite Nacht auf dem Boden, weil er sich das Zimmer teilen musste. Maher hat das gehasst, dieses demütigend kleine, lückenhafte Leben; endlich sollte alles heil sein, geordnet. Zu Hause, in Palästina, war schon genug in die Brüche gegangen. Gerade drei Monate hatte Maher dort studiert, als der Aufstand gegen die Israelis begann. Da ging Maher weg. Eigentlich war es ihm egal wohin, Hauptsache ein Leben ohne Krieg.

Maher und Funda haben sich an der TU kennen gelernt, im ersten Semester Technische Informatik. Damals, 1991, war noch nichts zwischen ihnen. Sie waren einfach Teil einer großen Clique. Iraker waren dabei, Argentinier, Chinesen und Türken – eine Art Patchworkfamilie für Heimatlose. „Und Maher war immer der, der über alles informiert war, über die Sprechstunden der Professoren, über Nebenjobs oder Feste“, sagt ein Freund. So ein Besserwisser, so ein Streber, hat Funda deshalb am Anfang noch gedacht. Aber eines Tages, zwei Jahre später, haben Funda und Maher zusammen Cappuccino gemacht mit seiner kleinen Maschine im Studentenwohnheim. Er hat ihr zeigen wollen, wie es geht, hat ihre Finger geführt, sie haben sich angeschaut und gelacht. Und da ist es wohl passiert, das mit der Liebe. Mehr aber nicht, sechs Jahre lang. Bis zur Hochzeitsnacht. Maher wollte, dass es perfekt beginnt, das neue Leben mit Frau – so, wie es auch zu Hause gewesen wäre. Schlimm genug, dass es die ersten vier Jahre lang eine heimliche Liebe bleiben musste.

Von diesen ersten vier Jahren wissen die Eltern bis heute nicht. Es hat gedauert, den Mut zur Beichte zu fassen. Ein Araber als Freund einer Türkin . . . Viele ältere Türken, meint Funda, denken, dass Araber rückständige Fanatiker sind, dass sie ihre Frauen einsperren. Aber als Funda schließlich zur Mutter ging, um zu sagen, dass sie heiraten wolle, sagte die nur: „Kind, muss das sein?“

Heute ist die Schwiegermutter traurig. Bekümmert kitzelt sie den Enkel, der die Pausbacken seines Vaters hat, sie gibt ihm einen Keks und sagt, dass Maher ein guter Schwiegersohn war. Obwohl er auf den Familienfeiern nie lange geblieben ist.

Funda hat viele Verwandte in Berlin, und an Feiertagen ist es üblich, die Älteren zu besuchen. Bei Onkel Güzel ist Maher gern länger geblieben, da gab es Kubbeh, mit Fleisch gefüllte Teigtaschen. Bei allen anderen ist er aber nach genau einer Stunde wieder gegangen, auch wegen der Verständigungsschwierigkeiten. Arabisch und Türkisch sind sich nämlich gar nicht ähnlich, und in einer dritten Sprache, Deutsch, Smalltalk zu machen, ist mühsam. Vor allem, wenn man sie wie Maher eher kreativ einsetzt. Er hat sehr schnell gesprochen, sagt Funda, und hat das Wichtigste im Satz ganz an den Anfang gesetzt, egal, was für ein Wort.

Der Freund meldet sich. Er möchte endlich sagen, was ihm am wichtigsten war. Maher hatte so eine Art – also, man hat ihm sofort von seinen Sorgen erzählt. Es ist doch so: Da wächst man in der arabischen Gesellschaft auf, in der Netzwerke – Männer, Frauen oder Familien unter sich – die Grundlage allen Zusammenlebens sind. Und dann kommt man nach Deutschland, in eine Gesellschaft der Einzelnen. Für den Freund war das ein Schock, aber Maher hat immer geholfen.

So, wie die Freunde Maher beschreiben, klingt es, als sei er eine Art Patriarch gewesen. Aber auch ein bisschen so, als ob er es gebraucht hätte, über die Menschen in seiner Umgebung alles zu wissen, alles unter Kontrolle zu haben. Maher selbst hat niemals Trost oder Rat gebraucht, sagt Funda. Er hat so stark gewirkt, sogar noch als er vom Krebs hörte. „Ich schaff’ das, ich bin noch jung“, hat Maher gesagt und wollte über die Krankheit nicht sprechen. Vielleicht hat er auch nicht wahrhaben wollen, dass er alles, was er gerade aufgebaut hatte, so schnell wieder verlieren würde. Christine-Felice Röhrs

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