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Wirtschaft: Gefragte Jugend

75 000 Lehrstellen blieben 2011 frei. Die Wirtschaft klagt über zu wenig geeignete Bewerber.

Berlin - Martin Wansleben strahlte, als er am Mittwoch die Bilanz des Ausbildungspaktes für 2011 vorlegte. Mit 71300 neuen Lehrstellen und 43 600 neuen Ausbildungsbetrieben habe die Wirtschaft die Zusagen „übererfüllt“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). Auch die Zahl der betrieblichen Ausbildungsverträge habe im vergangenen Jahr um vier Prozent auf 540 000 zugelegt. Der Ausbildungspakt wurde 2004 zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft geschlossen, um die Situation auf dem Ausbildungsmarkt zu verbessern.

Einen Grund zu anhaltender Freude bieten die Zahlen aber eigentlich nicht. Rechnet man den Rückgang der staatlich geförderten, außerbetrieblichen Ausbildungsplätze mit ein, legte die Zahl der Ausbildungsverträge 2011 insgesamt nur um 1,8 Prozent auf 570 000 zu. Zudem hat sich die Lage auf dem Ausbildungsmarkt auch im vergangenen Jahr weiter zugespitzt. Das Problem sind kaum mehr fehlende Lehrstellen, sondern zu wenige geeignete Bewerber. So blieben 2011 75 000 Lehrstellen quer durch alle Branchen unbesetzt, schätzt Wansleben.

Dabei kämpft die Wirtschaft an zwei Fronten: Einerseits gehen die Zahlen der Schulabgänger zurück, was die Auswahlmöglichkeiten der Betriebe verringert. 2011 lag die Zahl der Bewerber bereits 2,5 Prozent niedriger als im Vorjahr. Andererseits erachtet die Wirtschaft immer weniger Jugendliche, die die Schulen verlassen, als ausbildungsreif.

Die aus diesem Grund eingeführte Einstiegsqualifizierung, die solche Jugendlichen im Betrieb statt in schulischen Maßnahmen fit für die Ausbildung machen soll, wurde dennoch 2011 weniger in Anspruch genommen. Statt der vereinbarten 40 000 Plätze schuf die Wirtschaft nur gut 25 000. „Die Betriebe senken aus der Not die Anforderungen“, sagte Wansleben. Das heißt: Die Firmen brauchen so dringend Lehrlinge, dass sie sogar eigentlich noch nicht ausbildungsreifen Azubis direkt einen Ausbildungsvertrag geben, statt sie erst zu qualifizieren.

Insgesamt, so schätzt die Bundesagentur für Arbeit, nehmen in Bund und Ländern bis zu 350 000 Jugendliche an Fördermaßnahmen teil, die ihnen beim Übergang von der Schule zur Ausbildung helfen sollen. Von Kritikern werden sie als Warteschleifen bezeichnet. „Wären die Schulen besser, und würden sich die Eltern besser kümmern, dann könnte dieser Übergangsbereich abgeschafft werden“, sagte Wansleben. Er rief Bund und Länder dazu auf, den „unübersichtlichen Förderdschungel“ von Grund auf zu überprüfen. Um die vielen freien Lehrstellen zu besetzen, will der DIHK nun eine überregionale Lehrstellenbörse einrichten, die am 22. Februar starten soll.

Die Gewerkschaften halten dagegen: Viele Branchen, die über fehlende Auszubildende klagten, hätten oft inakzeptable Ausbildungsbedingungen, teilte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) mit. Er kritisierte den Ausbildungspakt als „mager“. „Trotz guter Wirtschaftsentwicklung bleibt die Lage auf dem Ausbildungsmarkt enttäuschend“, sagte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ingrid Sehrbrock. Nur der demographische Wandel verhindere, dass noch mehr Jugendliche in Warteschleifen geparkt würden. Die Zahl der Neuverträge liege zudem weit unter dem Niveau des Vorkrisenjahres 2008. Damals bekamen mehr als 616 000 junge Menschen einen Ausbildungsvertrag.

Die Bundesagentur für Arbeit zog am Mittwoch auch Bilanz über die Nachvermittlung von Auszubildenden. Waren Ende September 2011, zum Start des Ausbildungsjahres, noch mehr als 11000 Bewerber unversorgt, so sank die Zahl bis Januar auf 5700. Allerdings erhielten nur neun Prozent der nachvermittelten Azubis eine reguläre Lehrstelle, knapp zehn Prozent landeten in Fördermaßnahmen. Auch diese Zahlen zieht der DGB in Zweifel: Die Bundesagentur zähle mehr als 65 000 Bewerber als versorgt, die sich mit Bewerbungstrainings, Qualifizierungen und Praktika über Wasser hielten.

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