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Wirtschaft: Gefrorenes für die Touristenklasse

Die Flugzeugküchen passen sich der Krise an: Wer auf Billigplätzen sitzt, bekommt das zu spüren

In der Flugzeugküche von Gate Gourmet geht es präzise zu: „Wenn es zwölf Erdbeeren sein sollen, dann liegen besser auch zwölf Stück auf dem Teller, sonst gibt es Ärger“, sagt Alfred Gafner, Küchenchef bei der Schweizer Firma Gate Gourmet International AG, einem der größten Catering-Unternehmen für die Luftfahrt. Auf den überall in der Küche verteilten plastiküberzogenen Zubereitungsvorschriften gibt es genaueste Zutatenpläne: Danach soll etwa ein Rezept für 5,5 Kilogramm Kartoffelsalat exakt 6,122 Gramm Salz und 30,556 Gramm Tabasco enthalten. Die Kartoffelscheiben müssen genau fünf Millimeter dick sein. „Hier sind sie im Wunderland der Effizienz“, sagt Gafner. Bei der Herstellung der Flugmenüs herrscht inzwischen eine Präzision wie in einem Halbleiterwerk.

Einst ging es den Flugzeugküchen noch darum, die Bord-Mahlzeiten möglichst ansprechend zu machen. Heute ist das Rechnen jedoch genau so wichtig wie das Kochen. Denn der Kostendruck, unter den die Fluggesellschaften zuletzt geraten sind, macht auch den Catering-Unternehmen zu schaffen. Über Wasser hält sich die Zehn-Milliarden-Euro-Branche vor allem durch die Optimierung der Produktion.

Vorbei sind die Zeiten, als die Kochkünste der Flugküchen auch auf unteres Imbiss-Niveau absinken konnten. „Noch vor zehn Jahren konnten die Köche ein Standard-Gericht wie Kalbsschnitzel in Sahnesoße einfach improvisieren und den Airlines vorsetzen“, sagt Gafner. Heute geben die Fluggesellschaften klare Anweisungen und überprüfen deren Einhaltung. Mehr als 100000 Beschäftigte arbeiten in den insgesamt 630 Flugküchen weltweit. Die Hälfte davon gehören zu Gate Gourmet oder seinem größeren deutschen Konkurrenten, der Lufthansa- Tochter LSG Sky Chefs.

Nach üppigen Bord-Mahlzeiten in den 70er Jahren, als es selbst in der Economy-Klasse noch Filet Mignon und Hummerschwänze gab, fielen in den 80ern mit den Ticketpreisen auch die Standards der Menüs. Die Airlines schrumpften die Portionen und ersetzten teures Fleisch mit weicher Pasta und verkrustetem Reis. Die Zubereitung erfolgte oft Stunden vor dem Flug, so dass den Fluggästen nicht selten eine zerkochte Masse serviert wurde. „Vor zwanzig Jahren haben wir die Speisen wirklich nicht gut genug behandelt“, gesteht Robert Rosar, einst selbst Flugküchen-Koch und heute Amerika-Chef von Gate Gourmet.

Dem Geschäft der Caterer tat dies alles keinen Abbruch, solange die Fluggesellschaften daran festhielten, jedem Gast auf dem Flug eine kostenlose Mahlzeit zu bieten. Noch 1999 erzielte Gate Gourmet einen Umsatz von umgerechnet 1,68 Milliarden Euro bei einer Gewinnmarge von 6,8 Prozent.

Doch nach den Terroranschlägen vom 11. September griffen viele US-Airlines zu rigorosen Sparmaßnahmen. Dem Rotstift fiel auch die kostenlose Verpflegung auf Inlandsstrecken der USA zum Opfer. Auch andere Gesellschaften strichen die Economy-Menüs auf vielen Strecken. Daneben ließen die Sars-Epidemie in Asien und die allgemeine Terrorangst nach dem Irakkrieg die Zahl der Fluggäste drastisch sinken. Beide Catering-Riesen gerieten in die Krise. Der deutschen LSG bescherte der Einbruch seit dem Jahr 2001 Verluste in Höhe von insgesamt einer Milliarde Euro.

Daneben hat die Lufthansa den Wert ihrer Catering- Tochter in diesem Jahr um eine Milliarde Euro nach unten korrigiert. Gate Gourmet geriet ins Wanken, als ihre einstige Muttergesellschaft Swissair in den Monaten nach dem 11.September Insolvenz beantragen musste. Von den einst 32000 Angestellten verloren 30 Prozent ihre Arbeit, in der Züricher Küche sogar die Hälfte. Bei der Liquidation von Swissair wurde Gate Gourmet 2002 dann einer amerikanischen Investmentgesellschaft zugeschlagen. Bei allem Kostendruck hofft das Unternehmen dennoch auf Umsatzsteigerungen und setzt auf neue Kreativität. Die Menüs in der ersten Klasse sollen luxuriöser werden, und die Economy-Kunden will man durch bessere Angebote zum Kauf der Flugzeug-Speisen anregen.

In der Züricher Flugküche des Unternehmens arbeitet Küchenchef Gafner inzwischen daran, die Erste-Klasse-Gerichte trotz geschrumpften Etats zu veredeln. Für die Fluggesellschaften ist dies überlebenswichtig, denn die Premium- Kunden sind einer der wenigen Bereiche mit respektablen Gewinnspannen.

Die Airlines müssen es den teuren Gästen und vor allem ihren Gaumen recht machen. Fast aufgeregt beobachtet Gafner einen Koch, der gerade für die Erste- Klasse-Menüs Omelettes zubereitet – so duftig und appetitlich, dass sie aus einem Pariser Café stammen könnten. „Immer noch handgemacht und mit viel Crème fraiche“, schwärmt Gafner. Daneben packt ein Küchenarbeiter gerade eine Kiste tief gefrorene Omeletts für die Economy-Passagiere aus, die wie gelbe Schwämme aussehen. „Eierspeisen für die Touristenklasse sind das grausamste Produkt“, sagt Gafner bedauernd.

Wo die Economy-Gäste ganz ohne Gratis-Mahlzeit an Bord auskommen sollen, setzt Gate Gourmet auf die kostenpflichtige Auswahl. Das Geschäft wird dadurch nicht leichter, denn nun kämpft man mit den zahlreichen Flughafen-Restaurants um das Verpflegungs-Budget der Passagiere.

Bei Umfragen in den USA ergab sich jedoch, dass Fluggäste für die Speisen zahlen würden, solange es kein typisches Bord-Menü ist. „Wir vermeiden alles, was nach Flugzeugessen aussieht, auch die gewohnten Mini-Tabletts“, sagt Rosar. In einer Flugküche in New York macht er vor, wie allein die Verpackung eines Sandwichs den Absatz eines Sandwichs fördern kann, wenn die Folie beim Auspacken nur laut genug knistert. „Jemand kauft ein Sandwich, und das Rascheln macht die anderen Passagiere neugierig“, sagt er. Noch ist die kostenpflichtige Verpflegung Neuland für Gate Gourmet, besonders hinsichtlich der Mengen. Zwar sammelten Flugküchen und Airlines genaue Zahlen über die Essgewohnheiten an Bord. Doch die änderten sich schlagartig, als die Gäste plötzlich zu zahlen hatten.

„Zum Anfang blieb viel übrig“, erinnert sich Jim LaFrance, Gate Gourmets Küchenchef in New York. Jetzt wissen die Köche wenigstens, dass sie bei Flügen nach Las Vegas besonders großzügig aufstocken müssen. „Die haben jede Menge Geld dabei und werden alles essen und trinken, was an Bord ist“, sagt LaFrance.

Daniel Michaels

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