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6000 Arbeitsplätze der fest angestellten Taxi-Fahrer in Berlin wären durch die Einführung eines Mindestlohns bedroht. Das wäre jeder zweite Job.

© dpa

Gehälter in Berlin: Das Experiment Mindestlohn

Ob Taxi-Fahrer, Wäscherei-Angestellter oder Start-Up-Mitarbeiter: Ihre Arbeitgeber können es sich oft nicht leisten, ihnen einen Stundenlohn von 8,50 Euro zu zahlen. Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns würde Berlin daher Arbeitsplätze kosten - aber auch neue schaffen.

Frank Salewsky versteht die Aufregung nicht. Natürlich müsse er seinen Leuten mehr als 8,50 Euro zahlen, was für eine Frage. „Für 7,50 Euro bekommt man einfach niemanden mehr“, sagt er. Einlasskontrollen, Bewachung, Personenschutz, damit verdient Salewsky sein Geld. Er leitet bei der Securitas-Gruppe die Region Berlin-Brandenburg, mit 5000 Beschäftigten. Eigentlich keine Branche für das große Geld. Securitas arbeitet auch für den Staat, bewacht Kliniken – für 8,50 Euro. „Da kann ich meinen Mitarbeitern nicht erklären, dass sie nur 7,50 Euro bekommen, wenn sie für Privatfirmen arbeiten, die Millionen verdienen.“

Das Problem hätte Klaus-Dieter Dörschel auch gerne. In seiner Wäscherei, einer der größten Berlins, kommt es auf jeden Cent an. „Wenn der Mindestlohn von 8,50 Euro kommt, müssen wir Personal einsparen“, fürchtet er. Für seine knapp 40 Mitarbeiter gilt bislang der tarifliche Mindestlohn von 7,50 Euro. Müsse er mehr bezahlen, werde entweder die gleiche Arbeit mit weniger Leuten erbracht. Oder bei neuen Aufträgen würden keine zusätzlichen Mitarbeiter mehr eingestellt. „Dann haben die Leute zwar mehr Lohn, aber auch mehr Überstunden.“

Keine wirtschaftspolitische Idee ist so umstritten wie der gesetzliche Mindestlohn. Auch in Berlin: Die Wirkung einer Lohnuntergrenze von 8,50 Euro, die eine Regierung aus Union und SPD einführen will, ist völlig unklar. Gehen Stellen verloren? Steigt die Kaufkraft? Niemand weiß es. Es ist ein gigantisches Experiment.

Berlin ist besonders betroffen

Betroffen sind so viele Arbeitnehmer wie in keiner anderen deutschen Großstadt. Jeder fünfte, rund 300.000 Menschen, würde durch einen Mindestlohn besser bezahlt, schätzt Hartmut Mertens, Chefvolkswirt der Investitionsbank Berlin-Brandenburg. Das wären vor allem Nebenjobber: Schüler, Hausfrauen, Rentner. Aber auch Ungelernte und Jobwechsler, die generell wenig verdienen. 85 von 100 Berliner Beschäftigten arbeiten im Dienstleistungssektor: Sie machen Hotelbetten, servieren, putzen Büros oder vieles mehr. Die Kernfrage ist: Können ihre Chefs angesichts der gestiegenen Lohnkosten die Preise anheben – oder laufen dann die Kunden fort? Dann bliebe nur eins: Jobs zu streichen, die sich nicht rechnen.

Immer auf den Beinen. In der Gastronomie und Hotellerie gibt es noch keinen Mindestlohn.
Immer auf den Beinen. In der Gastronomie und Hotellerie gibt es noch keinen Mindestlohn.

© Mike Wolff

So wie im Taxi-Gewerbe. 6000 Arbeitsplätze der fest angestellten Fahrer wären bedroht, sagt Uwe Gawehn, Vorsitzender der Taxi-Innung. Das wäre jeder zweite Job. Die größeren Betriebe seien nicht in der Lage, 8,50 Euro pro Stunde zu zahlen. Die Fahrer würden in der Folge in die Selbstständigkeit gedrängt – dort interessiert es keinen, ob sie für 8,50 Euro arbeiten oder nur für die Hälfte.

Auch der Handel bliebe nicht unberührt. Das Befüllen der Regale haben Supermärkte längst ausgegliedert – an Dienstleister, die deutlich weniger als die Tarifgehälter von Edeka oder Netto zahlen. Die müssten bei einem Mindestlohn ihre hiesigen Löhne aber um 39 Prozent erhöhen, heißt es beim zuständigen Verband ILS. „Ein deutlicher Rückgang der Beschäftigtenzahlen“ wäre die Folge, warnt ein Manager.

Der Staat müsste die Einhaltung auch kontrollieren

Für eine ganze Reihe von Tätigkeiten in der Hauptstadt gibt es zwar Tarifverträge, die aber nur Mini-Löhne vorsehen. Ungelernte Floristen können in Ost-Berlin für nur 5,81 Euro angeheuert werden, junge Mitarbeiter in Fotoläden für 6,81 Euro, Tankstellen-Helfer im Osten für 5,21 Euro. Wer einfache Tätigkeiten bei Imbissketten erledigten will, muss mit nur 7,50 Euro rechnen. Das gilt für die Beschäftigten, deren Chefs dem Arbeitgeberverband angehören. Das ist aber oft nicht der Fall – dann fällt der Verdienst meist noch niedriger aus.

Doch die Zahl der Mindestlöhne, die Arbeitgeber und Gewerkschaften aushandeln, nimmt zu. Derzeit sind es 13, die von der Politik für allgemein gültig erklärt wurden – für Steinmetze, Dachdecker oder Gerüstbauer. Fast alle liegen nahe oder oberhalb von 8,50 Euro. Weitere Branchen robben sich an die Schwelle heran, die Friseure ab Mitte 2015 oder die Garten- und Landschaftsbauer. Bei der Innung der Bäcker und Konditoren heißt es, ab Mitte 2014 werde niemand mehr weniger als 8,50 Euro verdienen.

Allerdings: Ein Mindestlohn, der nur auf dem Papier steht, wäre wirkungslos. Der Staat müsste seine Einhaltung überwachen. „Oft hat man den Eindruck, dass der Staat in Berlin allenfalls Parkknöllchen verteilen kann“, moniert Thomas Lengfelder, Geschäftsführer beim Hotel- und Gaststättenverband. „Deutlich mehr Kontrollen“ müsse es bei einer Lohnuntergrenze geben – sonst werde die Schwarzarbeit zunehmen.

Für viele Firmen sind 8,50 Euro kein Problem

8,50 Euro dürften für große Firmen kaum ein Problem sein, hier wird besser gezahlt – bei der Bahn, Dussmann, der Post, dem Briefverteiler PIN. 92 von 100 Unternehmen in Berlin haben aber weniger als zehn Beschäftigte. „Ihnen wird es schwerer fallen, einen Aufschlag bei den Lohnkosten zu verkraften“, schätzt Kai-Uwe Müller vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.

Das dürfte vor allem für Firmen gelten, die noch im Aufbau sind. So wie das Online-Reiseportal GoEuro. Ein Mindestlohn passe nicht zu Start-ups, findet Geschäftsführer Malte Cherdron. „Bei uns arbeiten neben hoch bezahlten Experten auch viele junge Leute ohne Berufserfahrung, die hier in kurzer Zeit sehr viel lernen und sich beweisen können.“ Bei einem Mindestlohn „könnten wir weniger jungen Leuten eine Chance geben, bei uns ihre ersten Schritte in die Arbeitswelt zu machen.“

Es geht aber auch anders. Beim Hotel Estrel sieht man den Mindestlohn zwar nicht mit Euphorie. Aber dort könnte er sogar zu mehr statt zu weniger Jobs führen. „Wir sorgen uns, dass die Zulieferer ihre Preise erhöhen und wir diese im umkämpften Berliner Markt nicht an unsere Kunden weitergeben können“, sagt Personalchefin Annette Bramkamp. Ihr Ausweg: „Wenn Zulieferer zu teuer werden, werden wir eher zusätzliche Mitarbeiter für diese Bereiche einstellen.“

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