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Wirtschaft: Genom-Analysen: Das Erbgut als Risiko-Faktor

Die junge Berlinerin hatte einen Wink bekommen. Noch bevor das Ergebnis ihres Gentests vorlag, schloss sie schnell eine private Krankenversicherung ab.

Die junge Berlinerin hatte einen Wink bekommen. Noch bevor das Ergebnis ihres Gentests vorlag, schloss sie schnell eine private Krankenversicherung ab. Denn sollte der Test ergeben, dass sie Trägerin der tödlichen Erbkrankheit Chorea Huntington war, so steckten ihr gutmeinende Bekannte, könnte das für die Versicherung ein Grund sein, ihr den Vertrag zu verweigern.

In Großbritannien dürfen die Lebens- und Krankenversicher seit wenigen Wochen bestimmte Gentests verwerten. Beschränkt ist das bislang auf Chorea Huntington, den erblichen Veitstanz - als eine der wenigen Krankheiten, bei der man per Gentest sicher voraussagen kann, dass die tödliche Krankheit später Leben ausbricht.

In Deutschland gibt es noch keine gesetzliche Regelung. Ein obligatorischer Test als Voraussetzung für den Abschluss einer Versicherung komme nicht in Frage, sagt Gabriele Hoffmann vom Gesamtverband der Versicherungswirtschaft. "Wir wollen keinen Zwangstest." Wer aber freiwillig einen Gentest mache, solle diesen auch angeben müssen. "Wir wollen auch künftig nach Ergebnissen aus Gentests fragen dürfen", sagt sie. Ein gesetzliches Verbot der Nutzung von Gentest, das Österreich bereits eingeführt hat und das auch Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Bündnis 90 / Grüne) und Forschungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) inzwischen fordern, lehnen die Versicherer ab.

Wenn ein Gentest Aufschluss über eine drohende Krankheit gibt und die Versicherung nichts davon weiß, könne der Betroffene noch schnell eine Lebensversicherung abschließen, befürchten die Versicherer. "Dies kann aber nicht im Sinne der ganzen Versicherungsgemeinschaft sein", sagt Hoffmann. In diesem Fall könnten die Prämien nicht mehr risikogerecht bestimmt werden - letzten Endes bezahlten die anderen Versicherungsnehmer diesen Missbrauch mit. Höhere Prämien wiederum machten die Lebensversicherungen unattraktiver.

"Wir fragen genauso nach einem Gentest wie nach einem Aids-Test oder früheren Herzinfarkt", sagt Christoph John, Sprecher der Allianz Leben in Stuttgart. "Das ist Teil der Risikoprüfung." Natürlich gebe es starke Anreize, einen positiv ausgefallenenen Gentest zu verschweigen. Doch das, mahnt John, könnte sich später rächen. Sollte sich nach dem Tod des Versicherten herausstellen, dass der vor Abschluss der Lebensversicherung einen Test gemacht und das Ergebnis verheimlicht hat, werde die vereinbarte Versicherungssumme unter Umständen nicht ausgezahlt. "Das ist ein Verstoß gegen die Bedingungen des Vertrages", sagt John.

Um kein Risiko einzugehen, rät Erika Benderoth, Vorstandsmitglied des Landesverbandes Deutsche Huntington Hilfe Berlin-Brandenburg, potentiell Betroffenen, sich gründlich zu überlegen, ob sie den Test machen wollen. "Noch gibt es ohnehin keine Therapie", sagt sie. Benderoths Ehemann - er ist gesetzlich versichert - ist seit fast zehn Jahren an Huntington erkrankt. Ihre beiden Kinder leben mit dem 50-prozentigen Risiko, ebenfalls zu erkranken. "Es geht nicht an, dass Huntington-Risikopatienten ein Testergebnis angeben müssen, andere Risikogruppen wie Raucher aber nicht," sagt sie.

Die Ergebnisse von Gentests sollten nach Ansicht von Wolfgang Scholl, Versicherungsexperte bei der Verbraucherzentrale in Düsseldorf, nur dann von Versicherungen herangezogen werden dürfen, wenn Krankheiten festgestellt wurden, die bereits akut sind. Dies entspreche dann der üblichen Auskunftspflicht der Versicherten gegenüber der Versicherung, bevor eine Lebensversicherung oder eine privaten Krankenversicherung abgeschlossen werde. Alles andere lehnt er ab. "Die Büchse der Pandora darf nicht geöffnet werden," sagt Scholl.

Kritiker von Gentests, wie Bundesgesundheitsministerin Fischer, befürchten gerade bei privaten Krankenversicherungen, die Gefahr der Rosinenpickerei. Denn anders als gesetzliche Krankenkassen, bei denen rund 90 Prozent der Versicherten unterkommen, können sich die privaten Krankenversicherungen ihre Kunden aussuchen. Leistungen und Prämien vereinbaren sie je nach Alter und Risikoklasse. So genannte schlechte Risiken, befürchten Kritiker, haben bei privaten Krankenversicherungen dann keine Chance mehr. Sie müssten auf die gesetzlichen Kassen ausweichen - und die ohnehin arg gebeutelten Krankenkassen noch stärker belasten als ohnehin schon.

Gesundheitsministerin Fischer hat die Versicherungswirtschaft daher aufgefordert, auf die Nutzung von Gentests zu verzichten. Die mit Hilfe solcher Tests mögliche Voraussage bestimmter, im späteren Leben auftretender Krankheiten dürfe nicht zu einer Diskriminierung am Arbeitsplatz oder beim Abschluss einer Lebens- oder Krankenversicherung führen, sagt Fischer.

Auch die Humangenetikerin Irmgard Nippert von der Universität Münster lehnt die Nutzung von Gentests durch Versicherer strikt ab - aus Angst vor genetischer Diskriminierung. "Es kann nicht sein, dass jemand aufgrund seiner genetischen Merkmale von bestimmten Leistungen ausgeschlossen wird", sagt Nippert. Problematisch werde das vor allem dann, wenn Versicherer einen Gentest verlangten, weil im familiären Umfeld des Antragstellers Erbkrankheiten aufgetreten seien. "Jeder hat ein Recht auf Nichtwissen", sagt die Humangenetikerin.

Schon der Koalitionsvertrag von 1998 enthält die Absichtserklärung, die Bundesbürger vor genetischer Diskriminierung, in insbesondere im Bereich der Kranken- und Lebensversicherung, zu schützen. Eine gesetzliche Regelung soll nach bisheriger Planung allerdings erst 2002 auf den Weg gebracht werden.

Für die junge Berlinerin kommt das zu spät. Ihr Gentest war positiv. Als ihre Krankenversicherung davon erfuhr, hat sie ihr sämtliche Leistungen verweigert - obwohl das Test-Ergebnis zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch gar nicht bekannt war.

Karin Birk, Maren Peters

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