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In der Wohnungsbranche sind Genossenschaftsmodelle weit verbreitet.

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Genossenschaftsmodell: Wie ein Berliner Stadtplanungsbüro das Lohnniveau für alle Mitarbeiter steigern konnte

Genossenschaften ermöglichen Teilhabe am Gewinn. Diese Art der Mitarbeiterbeteiligung funktioniert auch in kleinen Betrieben, wie ein Beispiel aus Berlin zeigt.

Die Idee, eine Genossenschaft zu gründen, kam den Stadtplanern um Ursula Flecken im Jahr 2011. Damals hatte der Gründer des Stadtplanungsbüros Planergemeinschaft Kohlbrenner ein gewisses Alter erreicht und wollte sein Unternehmen verkaufen. „Da zeigten mehrere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Interesse daran, das Büro gemeinsam zu kaufen“, erzählt Flecken, Professorin für Stadtplanung, heute. „Und eine Genossenschaft erschien uns als beste Form, das Unternehmen weiterzuführen.“ 20 Mitarbeiter zählte die Planergemeinschaft damals, 14 von ihnen entschieden sich letztlich, Anteile zu kaufen. Seitdem firmiert das Unternehmen unter dem Namen „Planergemeinschaft Kohlbrenner eG“; „eG“ für eingetragene Genossenschaft.

Mit dieser Unternehmensform wähnen sich die Stadtplaner aus dem Büro in der Lietzenburger Straße als Unikat in ihrer Branche. Fast alle anderen Planungs- und Architekturbüros sind klassisch inhabergeführt. In der Tat machen die rund 7800 Genossenschaften in Deutschland einen verschwindend geringen Anteil der insgesamt rund 64.000 in Deutschland registrierten Unternehmen aus. Doch da darunter auch große Wohnungsbau-, Handels- und Agrarkonzerne sind, stellen sie eine wichtige Größe in der Wirtschaft der Bundesrepublik dar.

Durch Auflösungen oder Fusionen ist die Zahl der Genossenschaften im vergangenen Jahr allerdings leicht gesunken, obwohl auch 187 neu gegründet wurden. Im Jahr 2018 beschäftigten die genossenschaftlichen Betriebe laut der DZ Bank insgesamt aber 983.000 Mitarbeiter. Zu dieser Zahl tragen beispielsweise auch Firmen wie Edeka, Rewe oder Wohnungsbaugenossenschaften bei. Nicht jeder Mitarbeiter ist aber auch Mitglied. So gab es 2018 insgesamt knapp 23.000 Genossen in Deutschland.

Ein Anteil kostet 1250 Euro

Anders bei der Planergemeinschaft Kohlbrenner. Hier sind inzwischen fast alle der aktuell 31 Mitarbeiter Mitglied der eG. Doch wie läuft das konkret? „Bei uns funktioniert es so“, erläutert Flecken, die Vorstandsvorsitzende der Genossenschaft ist. „Wenn ein Mitarbeiter ein Jahr dabei ist, treten wir an ihn heran und bieten ihm an, Genossenschaftsanteile zu erwerben.“ Mindestens zwei und maximal 15 Anteile darf ein Mitglied kaufen. Ein Anteil kostet 1250 Euro. „Sollte jemand interessiert sein, aber Probleme haben, den Kauf finanziell zu stemmen, würden wir es mit Gehaltsmodellen natürlich möglich machen“, versichert Flecken. Bislang sei das aber noch nie vorgekommen. Auch die neuesten Mitarbeiter hätten schon bekundet, dass sie gerne mitmachen würden. „Deshalb gehe ich davon aus, dass bald alle unsere Mitarbeiter auch Genossen sind.“

Der Preis des Genossenschaftsanteils zeigt schon, dass die Summe aller Beteiligungen hier nicht den Unternehmenswert darstellt. Sie ist lediglich ein finanzieller Topf, mit dem das Unternehmen arbeiten kann. Und dass dieser Topf voller wird, je mehr Mitarbeiter anheuern, ist für die Planergemeinschaft durchaus wichtig. „Das Geld neuer Mitglieder benötigen wir unter anderem auch als Eigenkapital, weil wir unsere Projekte oft vorfinanzieren müssen“, erklärt Flecken. „Und je mehr Mitarbeiter wir haben und deshalb auch mehr Projekte annehmen können, müssen wir größere Summen vorstrecken.“ Wichtig ist ihr auch, dass Mitarbeiter ihre Anteile zurückgeben müssen, sobald sie aus dem Unternehmen ausscheiden. So schütze man sich vor Fremdbestimmung.

Ursula Flecken ist Vorstandsvorsitzende der Planergemeinschaft Kohlbrenner eG. Die promovierte Architektin war zudem Gastprofessorin an der TU Berlin.
Ursula Flecken ist Vorstandsvorsitzende der Planergemeinschaft Kohlbrenner eG. Die promovierte Architektin war zudem Gastprofessorin an der TU Berlin.

© Thomas Krahl

Auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) hält Genossenschaften für eine sinnvolle Unternehmensform. Den Unterschied zur Kapitalgesellschaft beschreibt DIHK-Rechtsexpertin Annika Böhm so: „Es steht nicht die Gewinnerzielung an erster Stelle, sondern die Förderung der Mitgliederinteressen und damit auch das gemeinschaftliche Interesse mit langfristiger Perspektive.“ Die leitenden Grundsätze lauten demnach Selbstorganisation, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung.

Viele Genossenschaften stammen aus den Bereichen Landwirtschaft, Handel und Handwerk sowie Wohnungsbau. Da Genossen dabei häufiger einfacher und günstiger an Wohnungen kommen, ist die Zahl der Mitglieder in diesem Bereich sehr hoch. Doch die meisten Mitglieder und auch Mitarbeiter haben Genossenschaften im Kreditwesen, wo es mit den Volksbanken Raiffeisenbanken, der R+V Versicherung oder der Sparda-Bank große Unternehmen gibt.

In den Grundsätzen von Selbstorganisation, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung (und Transparenz) liegt ein großes Potential für die Unternehmens- und Arbeitswelt der Zukunft. Die Frage ist nur, wie krisenfest das Modell ist.

schreibt NutzerIn Tobias_Johst

Eine Genossenschaft muss drei Mitglieder haben

Ob eine genossenschaftliche Rechtsform für ein Unternehmen passend ist, hängt laut Böhm an unterschiedlichen Faktoren wie der Anzahl der Gründer, Gründungskapital und Haftungsfragen. Die Eckpunkte dazu sind im Genossenschaftsgesetz geregelt. Demnach muss eine Genossenschaft mindestens drei Mitglieder haben. Es muss einen Vorstand, und kann einen Aufsichtsrat geben. Obligatorisch ist zudem eine Generalversammlung. Hier entscheiden die Mitglieder über die das Unternehmen betreffenden Fragen. Bemerkenswert ist, dass jedes Mitglied – unabhängig von seiner Kapitalbeteiligung – nur eine Stimme hat.

Bei der Planergemeinschaft kommt die Generalversammlung mindestens einmal pro Jahr zusammen, jeden Montag gibt es zudem eine Wochenanfangsbesprechung. „Alle Investitionen ab 7500 Euro müssen von der Generalversammlung mehrheitlich entschieden werden“, sagt Flecken. Zudem hätten alle Genossen Mitsprache bei der Verwendung des Gewinns und der Gehaltsstruktur. Hier wird aus Sicht von Flecken der einzige Nachteil der genossenschaftlichen Organisation deutlich: Die Entscheidungsfindung ist äußerst zäh. „Wir haben für die Aushandlung unserer Gehaltsstruktur rund ein Jahr gebraucht“, berichtet die Planerin. „Das wäre in einer klassischen Unternehmensform sicherlich leichter.“

"Ein sehr kapitalistisches Modell"

Das Ergebnis dürfte das Gros der Mitarbeiter allerdings laut Flecken durchaus überzeugen. „Die Spanne zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Gehalt ist bei uns deutlich geringer als in anderen Unternehmen, wo die Geschäftsführung die Gewinne nach eigenem Ermessen abschöpfen kann“, meint die Vorstandsvorsitzende. „Deshalb ist das Gehaltsniveau bei uns auch höher als in vergleichbaren Planungsbüros.“ Vielleicht ist auch das ein Grund, weshalb viele Chefs vor der Gründung einer Genossenschaft zurückschrecken.

Aus Sicht von Flecken wäre das allerdings ein Fehler. „Man merkt an der Arbeit, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich sehr stark mit dem Unternehmen identifizieren“, findet sie. Diese Einstellung wirke sich positiv auf die Arbeit und den Gewinn des Unternehmens aus, denn so könne jeder dazu beitragen, auch selbst mehr zu verdienen. „In dieser Hinsicht ist die Genossenschaft sogar ein sehr kapitalistisches Modell.“ Auch bei Bewerbungsgesprächen sei das Genossenschaftsmodell ein großes Plus. Dass ihre Kollegen das ebenfalls so sehen, macht sie auch an einem anderen Beispiel fest. „Aktuell sucht das Land Berlin ja zahlreiche Stadtplaner und von vielen anderen Büros wissen wir, dass viele Kollegen dort abgeworben wurden“, erzählt Flecken. „Wir haben keinen einzigen Mitarbeiter verloren.“

Genossenschaften erfuhren in der öffentlichen Debatte zuletzt ein gutes Image. Etwa beim Wohnungsbau werden die Genossenschaften gerne als Gegenentwurf zum kapitalistischen Miethai gesehen. Eine Wahrnehmung, über die sich Flecken nicht beschweren will. „Das hilft uns ebenfalls, etwa bei der Vergabe von Projekten“ erzählt sie. „Wenn die Leute das ,eG‘ am Ende sehen, haben wir die Sympathien schnell auf unserer Seite.“

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