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Wirtschaft: Gerhard Schimetzek

Geb. 1920

Von David Ensikat

Kein Schmiss auf der Wange, keiner auf der Stirn. Er durfte nie fechten. Karl Marx war einer, Wilhelm Liebknecht, Otto von Bismarck auch und Gerhard Schimetzek sowieso. Corpsstudent zu sein, bedeutet ja nicht zwangsläufig, ultrarechter Säufer mit narbendurchfurchtem Gesicht zu sein.

Die gesellige Männergesellschaft muss man lieben, feste Regeln, Tradition und auch etwas Spaß, aber nur dort, wo er hingehört.

Gerhard Schimetzek war Corpsstudent bis zu seinem Tode. Als er studierte, herrschten die Nazis, und die Corps waren eigentlich verboten. Es gab nur den NS Studentenbund mit den Kameradschaften. Einer solchen trat Schimetzek bei, und zwar jener, in der die alten Rheno Guestphalen heimlich ihre bunten Bänder trugen und auf die alten Zeiten anstießen. Dass sie Gerhard Schimetzek in ihren exklusiven Zirkel aufnahmen, war ihm eine Ehre. Das schwarz- weiß-grüne Band der verbotenen Corpsbruderschaft Rheno Guestphalia trug er unter der Uniform, als ihn an der Front eine Granate traf.

Ein Splitter blieb ihm als Erinnerung an den Krieg sein Leben lang im Nacken stecken. Ansonsten ging er unversehrt aus seiner Jugendzeit hervor: Kein Schmiss auf der Wange und keiner auf der Stirn, denn mit den alten schlagenden Verbindungen war im Dritten Reich auch die Corpstradition des Fechtens verboten gewesen.

1951 wurde das Corps Rheno Guestphalia neu gegründet – selbstverständlich mit Schimetzek, selbstverständlich mit der Fechterei. Schimetzek als inzwischen Fertigstudierter war fürs Schlagen jedoch zu alt. Das dürfen nur die „Burschen“, nicht die „Alten Herren“. Bei den Mensuren war Schimetzek, den alle nur noch Schim nannten, dennoch stets dabei. Nicht, weil ihm die Metzelei gefiel, sondern weil er eben überall dabei war.

„Schim fiel nicht besonders auf, er war nie laut“, sagt einer, der auch schon länger Alter Herr ist, „man kann keine Anekdoten von ihm erzählen. Er war immer da, und jetzt, wo er nicht mehr da ist, fehlt er sehr.“

Schim kam zu den Mensuren und zu den Conventen – den monatlichen Zusammenkünften –, er erschien selbstverständlich zu den Kneipen, das sind die größeren Gelage, zwei Mal im Semester, die der „Präside“ mit den Worten beschließt: „Hiermit trinke ich die Kneipe unter den Tisch!“

Zur Kneipe trug Schim selbstverständlich die kleine Mütze auf dem Kopf und das Farbenband um den Leib. Er achtete streng auf den „Comment“, das korrekte Auftreten der Tischgenossen. Dazu gehören nicht nur geputzte Schuhe und Jacket, sondern auch angemessene Manieren. Die Herren wollen gesellig sein, also dulden sie niemanden, der sein Bier einfach so hinunterkippt und sonst nichts sagt. Wer’s mit der Trinkerei übertreibt und sich danebenbenimmt, muss mit „Bandentzug“ rechnen. Er darf dann über Wochen die Corpsfarben nicht tragen. Leute wie Schim nehmen so was wirklich ernst.

Ganz wichtig bei der Kneipe ist das korrekte Zuprosten mit Blickkontakt. Und wenn einer etwas zu sagen hat, das alle hören sollen, dann muss er sich beim Präside melden. Der ruft der Runde zu: „Silencium“, die Runde hat zu schweigen, lauscht, und wenn die Ansprache zu Ende ist, ruft er: „Silencium ex!“

Eine Schule fürs Leben sei das Corpsstudententum, so sagen die Corpsstudenten. Deshalb die Regeln, man muss sich ja überall an welche halten. Deshalb das Fechten, Sport ist gesund, und hart geht es überall zu.

Bei den Rheno Guestphalen kommen 20 „Burschen“ auf 120 „Alte Herren“. Schim als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität konnte zwar immer mal wieder Studenten vom Sinn des Burschenseins überzeugen. Aber gegen das Schwinden der Mitgliederzahlen – gerade in einer Stadt wie Berlin – konnte auch er nichts ausrichten. Was nutzt schon der Verweis auf Marx und Bismarck?

Zu seiner Trauerfeier sollten die Corpsbrüder keine Blumen kaufen, sondern lieber ein Fass Bier für die Burschen. Bei der „Trauerkneipe“, so heißt es, „tranken sie Schim in den Himmel“.

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