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Wirtschaft: Gerhard Zadek

Geb. 1919

Von David Ensikat

Jude sein. Was heißt das denn, wenn man an die Revolution glaubt? Wie beten wir denn?“, fragte Eva, die älteste Tochter, als sie aus der Schule kam. Die Mitschüler hatten sie danach gefragt. Es war Anfang der fünfziger Jahre, damals wurde auch in der DDR noch in vielen Familien gebetet. Evas Eltern sagten: „Wir beten gar nicht. Wir sind Juden. Wir hatten nicht so viel Glück mit dem lieben Gott.“

Eines späteren Tages, Mitte der Sechziger kam die zweite Tochter Ruth nach Hause und weinte. Sie war mit Freunden in einer Eisdiele gewesen, sie waren laut, und der Verkäufer sagte: „Wir sind hier doch nicht in der Judenschule!“ Ruth wusste, dass sie aus einer jüdischen Familie kam; jetzt ahnte sie, dass das ein Makel war. Die Eltern beteuerten, dass nichts Schlimmes dabei sei. Es gäbe leider immer noch ein paar Leute, die das anders sähen, sie solle sich nichts daraus machen.

Als der Vater Gerhard Zadek selbst ein Kind war, da fanden seine Eltern, er solle Rabbiner werden. Er wurde Kommunist. Wenn auch einer, der seine jüdischen Wurzeln nicht leugnete. In der antifaschistischen Widerstandsgruppe um Herbert Baum waren vor allem Juden. Wenn das später in DDR-Lehrbüchern nicht extra erwähnt wurde, empfand Gerhard Zadek das als persönliche Kränkung.

Mit seiner Frau Alice, auch sie Jüdin und im Widerstand gegen die Nazis, gelang ihm kurz vor Ausbruch des Krieges die Flucht nach England. 1943 erfuhr Gerhard Zadek in Liverpool, dass seine Eltern, Onkel, Tanten und Cousinen aus Berlin deportiert worden waren. Was das bedeutete, konnte er nur ahnen. Nach dem Krieg erlangte er Gewissheit: In einem Wald bei Riga sind sie mit Tausenden anderer Berliner Juden erschossen worden.

Jude sein. Was heißt das denn, wenn man an die Revolution und nicht an Gott und das auserwählte Volk glaubt? Wer wollte sich schon den Nazi-Irrsinn zu eigen machen, dass das etwas mit dem Blut zu tun habe? Gerhard und Alice Zadek waren als Kommunisten zwar irgendwie auch Internationalisten. Vor allem jedoch waren sie Deutsche. Also kehrten sie nach dem Krieg aus Liverpool zurück in ihre Heimat – sollten die anderen Immigranten sie doch für meschugge halten. Und als die führenden Kommunisten in Deutschland meinten: Jude sein, heißt religiös sein, Religion aber ist Opium fürs Volk – ihr müsst euch entscheiden!, da entschieden sich die beiden Juden, von nun an nur noch „jüdischer Abstammung“ zu sein. Man muss doch nach vorne blicken, und vorne strahlte der Sozialismus. Die Zadeks traten der Sozialisten-Partei bei und ließen sich von ihr an jene Stellen setzen, wo man sie brauchte. Im Falle des gelernten Werkzeugmachers Gerhard Zadek war das die Außenpolitik-Redaktion der neu gegründeten Zeitung „Junge Welt“.

Als aus Moskau die Erkenntnis durchdrang, dass ehemalige West-Immigranten, dazu noch jüdische, tendenziell zum Verrätertum neigten, versetzte die Partei ihren treuen Propagandisten in die mecklenburgische Provinz und erteilte sicherheitshalber Berlin-Verbot. Er nahm das hin, denn sein Glaube an die große Sache war unerschütterlich.

Nicht einmal ein Jahr währte das zweite Exil, inzwischen war Stalin gestorben, da durften die Zadeks wieder nach Berlin, Gerhard wurde Parteisekretär und später Abteilungsleiter im Patentamt. Dort war er für die Erfinderschulung zuständig – eine günstige Stellung für einen, der zwar Stück für Stück erkennt, dass der DDR-Sozialismus nicht funktioniert, der aber die Hoffnung nicht aufgeben mag: Ein Land, das Erfinder wie die unseren hervorbringt, das kann so schlecht nicht sein!

So stabil diese Hoffnung, dieser Glaube war, so haltbar war auch der Atheismus des Mannes „jüdischer Abstammung“. In der Wohnung der Zadeks stand wohl mal ein siebenarmiger Leuchter, die Töchter können sich vage daran erinnern, die Eltern unterhielten sich mit einem befreundeten Paar auch hin und wieder über ihre Herkunft und über Israel. Eine größere Rolle spielte das Judentum in der Familie jedoch nicht. Immerhin, die drei Töchter trugen jüdische Namen: Eva, Ruth und Hannah – die letzen beiden nach den umgebrachten Cousinen des Vaters.

Mitte der achtziger Jahre änderte sich die offizielle Parteimeinung: Man unterschied nun zwischen „israelischem Imperialismus“ und jüdischer Tradition. Da trat auch der Genosse Gerhard Zadek der Jüdischen Gemeinde wieder bei. Nun gut, an Gott im Himmel glaubte er noch immer nicht. Für die Gemeinde jedoch war einzig entscheidend, ob die Mutter jüdisch und der junge Gerhard beschnitten worden war. Für den gealterten Gerhard war seine Herkunft entscheidend. Mag sein, dass das auch etwas mit der Zukunft zu tun hatte, die nicht mehr ganz so golden leuchtete.

Wie wird ein weltlich Gläubiger wie Gerhard Zadek mit dem Dahinschwinden seines irdischen Himmelsreiches fertig?

Sein Leben hatte ja lange vor dem der DDR begonnen. Er widmete sich jetzt ganz der alten Zeit. Der Widerstand gegen die Nazis, namentlich der jüdische, das war sein Thema bis zuletzt. Vor allem die jungen Leute sollten davon erfahren. 150 Mal trat er auf, erzählte und las aus seinem Erinnerungsbuch vor. Als die Rosa-Luxemburg-Stiftung eine Broschüre herausgab über die wichtigsten Widerstandskämpfer und darin nicht deutlich machte, wer von denen Jude war, da setzte er alles dran, dass sie das ändern. In solchen Dingen war er unerbittlich.

Gerhard Zadek hatte seinen Töchtern als Gute-Nacht-Geschichten nie Märchen erzählt, sondern wahre Geschichten wie die von Spartakus und dem Sklavenaufstand. Dass die Juden sich von den Nazis willenlos hätten auf die Schlachtbank führen lassen, das war für ihn ein beleidigendes Märchen. Es gab den jüdischen Widerstand, er war ja selbst dabei!

Vor einem halben Jahr ist seine Frau gestorben, nun ist er ihr gefolgt. Sie haben ihn nach jüdischem Brauch beerdigt. Der Rabbi betete das Kaddisch.

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