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Wirtschaft: Gesundheitsreform könnte noch teurer werden

Krankenkassen warnen: Geplante Beitragserhöhung schließt Finanzloch nicht – Experte schätzt Sparpotenzial auf 20 Milliarden Euro

Berlin - Die Beschlüsse der Regierung zur Gesundheitsreform sind bei Krankenkassen, Wirtschaft und Experten auf harsche Kritik gestoßen. Die geplante Anhebung der Beiträge für die gesetzlichen Kassen reiche womöglich nicht aus, um die Finanzlücke ab 2007 zu schließen, hieß es. Zudem habe es die Koalition versäumt, die Strukturen des Medizinsystems umzubauen und Reserven zu mobilisieren. Der Gesundheits-Sachverständige Gerd Glaeske bezifferte die mögliche Sparsumme auf 20 Milliarden Euro.

Union und SPD hätten „keine Lösung für die in den nächsten Jahren anwachsende Finanzierungslücke“ bei der gesetzlichen Krankenversicherung gefunden, kritisierten die Spitzenverbände der Kassen in einer Erklärung. Es sei zweifelhaft, ob die für 2007 vorgesehene Beitragserhöhung um 0,5 Prozentpunkte ausreichen werde.

Das Finanzloch bei den Kassen wird auf sieben Milliarden Euro geschätzt, die höheren Beiträge der 50 Millionen Versicherten bringen aber nur fünf Milliarden Euro. Die Anhebung könne vermieden werden, wenn die Koalition auf die Streichung des Bundeszuschusses in Höhe von vier Milliarden Euro verzichten und weniger Mehrwertsteuer für Arzneimittel verlangen würde, erklärten die Verbände weiter. Der vereinbarte Gesundheitsfonds werde überdies zu „erheblichen Mehrbelastungen der Versicherten und zu höherem Verwaltungsaufwand und -kosten“ führen. In den Fonds sollen die Beiträge von Wirtschaft und Arbeitnehmern fließen. Für jeden Versicherten sollen die Kassen eine Pauschalzahlung bekommen, zusätzlich können sie eine Prämie verlangen.

Die viertgrößte Krankenkasse KKH monierte den mangelnden Sparwillen der Regierung. „Wenn das alles gewesen ist, steht die nächste Reform spätestens in drei, vier Jahren wieder auf dem Programm“, sagte Vorstandschef Ingo Kailuweit dem Tagesspiegel. Mit den vereinbarten Maßnahmen würden die Kassen die Ausgabendynamik nicht in den Griff bekommen. „Im ambulanten und im stationären Bereich hat die Regierung so gut wie keine Kostensenkungen hinbekommen“, sagte er. Nötig sei es, die Reserven des Systems zu mobilisieren und mehr Anreize für Qualität und bessere Versorgung zu schaffen. Auch Kailuweit kritisierte die Finanzpläne. „Die Einführung einer zusätzlichen Prämie pro Kopf bedeutet, dass die Ausgabensteigerungen in Zukunft allein auf den Bürger abgewälzt werden“, sagte der KKH-Chef. Es dürfe nicht sein, dass Ärzte und Pharmaindustrie über die Leistungen und den Geldfluss entschieden, und der Bürger müsse es am Ende bezahlen.

Auch der Bremer Gesundheitsökonom Gerd Glaeske, Mitglied im Rat der Gesundheits-Sachverständigen, ist mit der Reform unzufrieden. Es gebe ein langfristiges Sparpotenzial von 20 Milliarden Euro im Gesundheitswesen, sagte er dieser Zeitung. Die Regierung habe offenbar nicht genügend Kraft, einen Beitrag von Ärzten oder Pharmaindustrie einzufordern. Glaeske: „Wenn man die Verschwendung bekämpfen will, muss man heute neue Strukturen einführen, die morgen und übermorgen Geld sparen helfen.“

Ludwig Georg Braun, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, sagte, es werde „den Bürgern die Illusion vermittelt, es könnte einfach so weitergehen“. Mit der Kopplung der Beiträge an den Arbeitslohn bleibe der „zentrale Webfehler“ des Medizinsystems bestehen. Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie nannte die Pläne „mittelstandsfeindlich und kontraproduktiv“. Verbandschef Bernd Wegener verwies darauf, dass Apotheker und Arzneihersteller bei Preisverhandlungen künftig 500 Millionen Euro pro Jahr an Einsparungen erzielen müssten und die Apotheker notfalls den Differenzbetrag zahlen sollten. Das sei ein „höchst zweifelhafter Eingriff in das Marktgeschehen“. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft nannte die Kürzungen im Budget der Kliniken um ein Prozent realitätsfremd. „Die Krankenhäuser stehen mit dem Rücken zur Wand und müssen monatelange Streiks aushalten“, sagte Präsident Rudolf Kösters.

Das Arzneimittel-Sparpaket der Regierung hat derweil dafür gesorgt, dass Patienten 2000 Medikamente seit Anfang Juli ohne Zuzahlung bekommen können. Zuzahlungsfrei sind unter anderem Schmerz- und Prostatamittel, Krebsmittel, Herz-Kreislauf-Mittel, Magen-Darm- Mittel, Antidepressiva, Antibiotika und Mittel für Epileptiker und Parkinson- Patienten. Die Liste der Arzneien kann im Internet abgerufen werden.

www.gkv.info

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