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Wirtschaft: Gewerkschaft zweifelt an Sinn des Entsendegesetzes

Ohne einheitliche Tarifverträge wirkt das Gesetz nicht gegen Dumpingkonkurrenz. Doch diese Verträge kommen nicht zu Stande

Berlin – Die Chancen auf tariflich vereinbarte Mindestlöhne in der Fleischwirtschaft sind nach Ansicht der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) gering. Die Gewerkschaft versucht zwar derzeit nach eigenen Angaben, mit den Großbetrieben der Branche einen Tarifvertrag auf Bundesebene auszuhandeln, um Lohndumping zu verhindern. Der NGG-Vorsitzende Franz-Josef Möllenberg ist aber skeptisch, ob solche Regelungen überhaupt zu Stande kommen. Der Gewerkschaftschef fordert die Bundesregierung auf, gesetzliche Mindestlöhne vorzuschreiben. „Mit 1500 Euro brutto im Monat würde die Untergrenze der Existenzsicherung erreicht“, sagte Möllenberg dem Tagesspiegel.

In der Fleischbranche gibt es derzeit keine bundesweiten Tarifvertragsstrukturen. Die wären aber notwendig, damit tarifliche Mindestlöhne eingeführt werden können, für die dann nach dem Willen der Bundesregierung das Arbeitnehmer-Entsendegesetz Anwendung finden könnte. Ein solches Gesetz nach dem Vorbild der Bauwirtschaft will die Bundesregierung auf alle Branchen ausweiten. Der Gesetzentwurf dazu war am Freitag in den Bundestag eingebracht worden.

Um die Arbeitgeber der Branche von tariflichen Mindestlöhnen zu überzeugen, trifft der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium, Gerd Andres (SPD), an diesem Dienstag in Berlin Vertreter von Verbänden und Betrieben der Fleischwirtschaft. „Die Wirtschaft ist gut beraten, sich zu bewegen. Sonst werden sie am Ende bei gesetzlichen Mindestlöhnen landen“, drohte SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler unmittelbar vor dem Gespräch.

Hintergrund der Aktivitäten von Bundesregierung ist, dass nach Angaben der Gewerkschaft NGG in der Folge der EU-Osterweiterung mehr als 26000 heimische Arbeitsplätze in der Fleischindustrie verloren gegangen sind. Deutsche Arbeitnehmer würden in Schlachtbetrieben durch osteuropäische Billiglöhner ersetzt, die zu Stundenlöhnen von drei bis fünf Euro arbeiten, beklagt die Gewerkschaft. Diese seien in Deutschland häufig als Scheinselbstständige tätig. „In der Fleischwirtschaft haben wir zum Teil mafiöse Strukturen“, moniert der NGG-Vorsitzende Möllenberg. In einer bundesweiten Großrazzia hatten im April 700 Fahnder von Zoll, Finanzbehörden und Polizei 134 Schlachthöfe und Fleischbetriebe in Deutschland untersucht. Die Ermittlungen richteten sich gegen Scheinfirmen.

Problematisch für die Anwendung des Entsendegesetzes ist, dass die Tariflandschaft in der Fleischwirtschaft stark zersplittert ist und keiner der zahlreichen Arbeitgeber sich für bundesweite Tarifverträge zuständig fühlt. Von Tarifverträgen sind nach NGG-Angaben nur ein Drittel der Arbeitnehmer erfasst. Daher schließen sich auch Wissenschaftler der Skepsis der Gewerkschaften an, dass die Ausweitung des Entsendegesetzes wirkungslos bleiben könnte. Diese Gesetzesänderung werde Lohndumping nicht verhindern können, weil flächendeckende Mindestlohn-Tarifverträge „auch für die Zukunft nicht zu erwarten sind“, heißt es in einer aktuellen Studie des Instituts Arbeit und Technik (IAT) Gelsenkirchen. Die Wissenschaftler empfehlen daher, wie in anderen europäischen Ländern gesetzliche Mindestlöhne einzuführen, um Lohndumping zu verhindern.

Die Arbeitgeber wehren sich bisher gegen gesetzliche Mindestlöhne. Zugleich wächst bei ihnen die Einsicht, dass sich an der aktuellen Situation etwas ändern muss, damit die Branche nicht in Verruf gerät. „Wir müssen mit der Bundesregierung zu einer Lösung kommen, weil sonst der Imageschaden für die gesamte Branche riesig ist“, sagt ein Sprecher des Bundesverbands der deutschen Fleischwarenindustrie.

Josef Tillmann, Geschäftsführer von Tönnies, einem der Großbetriebe in der Branche, regt eine Selbstverpflichtung der Wirtschaft an. Darin könnte aus seiner Sicht festgeschrieben werden, wie viel Arbeitgeber ihren Mitarbeitern als Stundenlohn zahlen sollen. Wirtschaftsprüfer sollten kontrollieren, ob die Selbstverpflichtung in den Betrieben eingehalten wird. Die Gewerkschaften halten von diesem Vorschlag jedoch nichts. Möllenberg kritisiert: „Wir brauchen verbindliche Regelungen. Eine Selbstverpflichtung ist eine Lachnummer.“

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