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Überall auf der Welt gehen am Tag der Arbeit die abhängig Beschäftigten auf die Straßen, um für gute Arbeitsbedingungen und soziale Sicherheit zu demonstrieren. Das Archivbild zeigt Demonstranten in Marseille vor einem Jahr.

© dpa

Gewerkschaften am 1. Mai: In Sorge um Europa

Viele Gewerkschaften sind in der Defensive, die IG-Metall ruft deswegen zum Streik auf. Gegen die soziale Krise in Europa wollen die Industriegewerkschaften nun mit einer EU- Initiative mobil machen.

„Es kann Deutschland nicht gut gehen, wenn es Europa schlecht geht“, heißt es im Aufruf des DGB zum 1. Mai. Der Dachverband der größten deutschen Gewerkschaften gibt sich europäisch und plädiert für eine tiefere Integration der EU. Und er nutzt die Schuldenkrise zur Abrechnung mit Spekulanten, Banken und Politikern. „Die Opfer des Fiskalpakts sind die Beschäftigten und die sozial Benachteiligten – heute im Süden Europas und morgen bei uns“, schreibt der DGB unter dem 1.-Mai-Motto „Gute Arbeit für Europa – Gerechte Löhne, Soziale Sicherheit“.

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Aus der Finanzkrise, die 2008 von der Wall Street aus über die halbe Welt schwappte, sei inzwischen eine soziale Krise geworden. Erst hätten die Staaten sich massiv verschuldet, um die Banken zu retten. Und jetzt stünden diese Staaten selbst unter dem Druck der Finanzmärkte – „und geben diesen an die Bevölkerung weiter“. Statt ganze Staaten kaputt zu sparen, seien „kraftvolle Investitionen in qualitatives Wachstum und Beschäftigung“ nötig, meint der DGB.

Die Industriegewerkschaften bemühen sich derweil um mehr Schlagkraft in der EU: In zwei Wochen fusionieren in Brüssel der Europäische Metallgewerkschaftsbund, die Föderation der Bergbau-, Energie- und Chemiegewerkschaften sowie der Verband der Textilgewerkschaften zum „IndustriALL – European Trade Union“: eine Organisation mit fast acht Millionen Beschäftigten und 230 Gewerkschaften „zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer“.

Die Lage der Gewerkschaften in Großbritannien

Die frühere britische Premierministerin im Dezember 1987: Margaret Thatcher besucht eine Näherei.
Die frühere britische Premierministerin im Dezember 1987: Margaret Thatcher besucht eine Näherei.

© dapd

Britische Gewerkschaften sind eine schwindende Macht: Mit ihren Streikwellen der siebziger Jahre, dem Bergarbeiterstreik von 1982/83 und dem legendären Druckerstreik gegen neue Technologien bei der „Times“ brachten sie sich eine historische Niederlage bei. Den Rest besorgten Margaret Thatcher, die Verdrängung der Gewerkschaftsbewegungen aus der Privatindustrie durch unternehmensspezifische Tarifverträge und eigenes Verschulden. Von 13,5 Millionen Gewerkschaftern im Jahre 1979 sind weniger als die Hälfte übrig geblieben – 27 Prozent der Beschäftigten. Über zwei Drittel davon arbeiten im öffentlichen Dienst, der letzten Gewerkschaftsbastion. Aus der Perspektive der im Privatsektor Beschäftigten vertreten die auf den öffentlichen Dienst fixierten Gewerkschaften allerdings ein überbezahltes, mit guten Rentenregelungen privilegiertes Segment. Erst recht fehlt die Sympathie, wenn Nischengruppen mit Muskelkraft wie die Tankerfahrer oder die gut bezahlten Londoner U-Bahn-Fahrer streiken. Gewerkschafter in Großbritannien werden gerne als „Dinosaurier“ bezeichnet. Auch Gewerkschaftsführer Len McCluskey von der Dienstleistergewerkschaft Unite, der jüngst vorschlug, die Olympiade mit Streiks zu stören, um Zugeständnisse zu erpressen.

Die Lage der Gewerkschaften in Italien

Mario Monti - der italienische Ministerpräsident
Mario Monti - der italienische Ministerpräsident

© dpa

Das Drama beginnt bei den Zahlen. Während der DGB gerade mal sechs Millionen Mitglieder zählt, melden Italiens fünf Spitzengewerkschaften 16,6 Millionen. Damit wäre fast jeder abhängig Beschäftigte auch Gewerkschafter – wenn die Zahlen nicht künstlich aufgeblasen wären: Knapp die Hälfte der Mitglieder sind Rentner, drei bis vier Millionen „Gewerkschafter“ frei erfunden.

Die Gewerkschaften streiten aktuell wider Mario Montis Reform des Arbeitsrechts. Sie führen ins Feld, Monti lockere den Kündigungsschutz, und verdrängen dabei, dass die „Technokratenregierung“ die Sozialmaßnahmen für Arbeitslose oder ungesicherte Jobs auch auf jene Massen von Beschäftigten ausdehnen will, um die sich die Gewerkschaften – des geringeren Mobilisierungspotenzials wegen – nicht kümmern: auf die Arbeiter in Mini-Unternehmen (also im größten Teil der Firmenlandschaft) und prekär Beschäftigte. „Mitbestimmung“ ist für Italiens Gewerkschaften ein Fremd- oder gar Hasswort. Gerade die größte, die ultralinke CGIL, lebt vom „Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital“. Die ideologische Unbeweglichkeit der Gewerkschaften ist mitschuldig an Italiens chronisch sinkender Wettbewerbsfähigkeit und daran, dass ausländische Investoren um das Land einen Bogen machen.

Die Lage der Gewerkschaften in Frankreich

Bürger bei einer Mai-Demonstration in Straßburg im Osten Frankreichs.
Bürger bei einer Mai-Demonstration in Straßburg im Osten Frankreichs.

© AFP

Sie legen aus Protest schnell die Arbeit nieder, besetzen von Schließungen bedrohte Betriebe oder nehmen deren Chefs in Geiselhaft. Zu einem langen Arbeitskampf sind Frankreichs Arbeitnehmer aber aufgrund der Schwäche der Gewerkschaften nicht in der Lage. Nur acht Prozent der lohnabhängig Beschäftigten gehören einer Gewerkschaft an. Damit ist Frankreich das Land mit dem geringsten Organisationsgrad in Europa. Anders als in Deutschland, wo sich die Einzelgewerkschaften nach 1945 unter dem parteipolitisch neutralen DGB zusammenfanden, sind die fünf großen branchenübergreifenden Organisationen in Frankreich Richtungsgewerkschaften. Sie haben unterschiedliche ideologische Wurzeln und rivalisieren miteinander. Ihre Repräsentativität beziehen die beiden größten, die CGT, die lange Zeit der Kommunistischen Partei nahestand, und die sozialistisch orientierte CFDT, aus ihren Erfolgen bei den Sozialwahlen zu Betriebskomitees, Arbeitsgerichten und Sozialversicherung. Per Gesetz sind sie damit auch als Partner bei Tarifabschlüssen anerkannt. In jüngster Zeit sind bei Post, Eisenbahn oder im Gesundheitssektor autonome Organisationen entstanden, die gegen die Vorrangstellung der etablierten Gewerkschaften opponieren.

Die Lage der Gewerkschaften in den USA

Präsident Barack Obama. Gewerkschaften haben in den USA heutzutage wesentlich weniger Einfluss als früher.
Präsident Barack Obama. Gewerkschaften haben in den USA heutzutage wesentlich weniger Einfluss als früher.

© dapd

Gewerkschaften in den USA haben eine andere Geschichte als in Europa. Ihre tragenden Organisationen stellten das Privateigentum an den Produktionsmitteln nie infrage. Sie vertraten, aufgeteilt nach Branchen, die Interessen der Facharbeiter-Mitglieder in Abgrenzung gegen Nichtorganisierte, Ungelernte und Einwanderer. Der Rückgang des produzierenden Gewerbes hat ihre Bedeutung in den vergangenen Jahrzehnten erheblich reduziert. 1955 waren 34 Prozent der Arbeiter in der Privatwirtschaft organisiert, heute sind es noch etwa sieben Prozent. Besondere Bedeutungsverluste erlitten die Gewerkschaften der Stahlarbeiter, der Fuhrleute („Teamsters“), der Eisenbahner und in jüngerer Zeit auch die United Auto Workers (UAW). Um deren Macht auszuweichen, werden neue Autofabriken nicht mehr in der Region um Detroit gebaut, sondern in den Südstaaten, wo es keine starke Gewerkschaft gibt. Der UAW gehören heute doppelt so viele Rentner wie arbeitende Mitglieder an. Die aktuellen politischen Konflikte betreffen die Gewerkschaften für den öffentlichen Dienst. Republikanische Gouverneure versuchen deren Verhandlungsrechte zu beschneiden. Der Gewerkschaftsdachverband AFL/CIO betreibt deshalb in Wisconsin die Abwahl des Gouverneurs.

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