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Wirtschaft: Gewerkschaften wollen nicht mehr sparen

Konjunkturflaute und Arbeitslosigkeit reißen neue Löcher in die Staatskasse / Streit um Finanzpolitik wird schärfer

Berlin (asi). In der Regierungskoalition tobt ein heftiger Streit um den finanzpolitischen Kurs der Regierung. Derweil sinken angesichts von 4,6 Millionen Arbeitslosen die Aussichten, dass es in diesem Jahr überhaupt gelingen kann, ohne steigende Neuverschuldung auszukommen und den MaastrichtVertrag einzuhalten.

DGB-Chef Michael Sommer hat die Bundesregierung am Mittwoch aufgefordert, ihren Sparkurs aufzugeben und eine höhere Neuverschuldung in Kauf zu nehmen. Dabei müsse sie auch zum Konflikt mit der EU-Kommission in Brüssel bereit sein. „Wir befürchten, dass ohne Gegensteuern die Zahl der Arbeitslosen gegen fünf Millionen geht“, sagte Sommer. Der SPD-Finanzexperte Joachim Poß wies das zurück. Dennoch sagte er, dass die Bundesregierung auch 2002 „nicht gegen das Wachstum gespart“ und die Neuverschuldung erhöht habe. Wenn sich herausstelle, dass die Steuereinnahmen zur Finanzierung der Haushalte nicht ausreichten, „werden wir selbstverständlich wieder mehr Schulden aufnehmen“, sagte Poß.

Die haushaltspolitische Sprecherin der Grünen, Antje Hermenau, forderte sowohl SPD als auch Union auf, den „Schlingerkurs“ der vergangenen Tage aufzugeben und noch im Februar zu Beratungen über das Steuergesetz von Finanzminister Hans Eichel (SPD) zusammenzukommen. Wenn Mitte März der Bundeshaushalt 2003 im Bundestag beraten werde, müssten die Eckdaten vorliegen, sagte Hermenau dem Tagesspiegel am Mittwoch. Auch die Bundesländer benötigten „dringend Planungssicherheit“.

Die Politikerin warf SPD und Union ein „Mikadospiel“ vor, das „man zuletzt bei der großen Koalition in Berlin gesehen hat“. Die Menschen und Unternehmer benötigten verlässliche Aussagen über die Investitionskraft und das Steuerniveau. Nur so könne es gelingen, „das zarte Pflänzchen der Erholung nicht gleich wieder zu zertreten“. Dem widersprach Regierungssprecher Bela Anda jedoch. Das Steuergesetz werde „wie geplant“ im Bundestag und Bundesrat eingebracht. Verhandlungen mit der Union seien allenfalls im Vermittlungsausschuss denkbar. Er wies zudem Berichte zurück, der Kanzler werde Eichels Gesetz noch vor dem parlamentarischen Verfahren zurückziehen.

Zum Hintergrund: Nach den Landtagswahlen hatten vor allem der hessische Ministerpräsident Roland Koch, aber auch CDU-Chefin Angela Merkel angekündigt, das Steuerpaket komplett zu blockieren. Das SPD-Präsidium kündigte daraufhin an, keine anderen Steuererhöhungen zur Kompensation der Mindereinnahmen vorzuschlagen und die Schuld für die notwendigerweise eintretende höhere Neuverschuldung der Union zu geben. Kann Eichel das Gesetz nicht durch den Bundesrat bringen, drohen den Haushalten Mindereinnahmen von 3,6 Milliarden Euro in diesem Jahr und fast elf Milliarden Euro in 2004.

In Regierungs- und Oppositionskreisen wird unterdessen mehr oder weniger offen zugegeben, dass die wirtschaftliche Lage auch in diesem Jahr zu einer höheren Verschuldung führen und das Maastricht-Kriterium von höchstens drei Prozent Nettoneuverschuldung überschritten wird. Zumal im Bundeshaushalt noch mit 1,5 Prozent Wachstum und einer durchschnittlichen Arbeitslosigkeit von 4,1 Millionen gerechnet wird. Nach der Veröffentlichung der Januar-Zahlen am Mittwoch gehen Experten jetzt aber davon aus, dass diese Prognosen nicht zu halten sind. Allein 100000 Arbeitslose mehr belasten die Haushalte mit rund einer Milliarde Euro.

Die Haushaltspolitiker von Union und Grünen gehen indes davon aus, dass Eichels Steuerpaket 2003 für die Haushaltslage beim Bund und den Ländern ohne große Bedeutung ist. Sowohl Hermenau als auch der CDU-Parlamentarier Dietrich Austermann sagten dem Tagesspiegel, sollte das Steuerpaket abgelehnt werden, könnten die entstehenden Löcher in den diesjährigen Haushalten ohne Probleme gestopft werden.

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