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Wirtschaft: Gewerkschaften zerfallen in drei Lager

Die Arbeitnehmervertreter sind ratlos und zerstritten – am Montag trifft sich die Führungsspitze

Berlin - Frank Bsirske fehlt. Das Treffen der Gewerkschaftsbosse mit der SPDSpitze am kommenden Montag dürfte deshalb einigermaßen friedlich ablaufen. Bsirske gehört als einziger deutscher Gewerkschaftführer den Grünen an und gehört also nicht zum SPD-Gewerkschaftsrat. Nicht zum ersten Mal, aber so deutlich wie noch nie hatte Bsirske kürzlich den Kanzler attackiert. Gerhard Schröder sei „gescheitert“, weil er sein Ziel, die Arbeitslosigkeit zu senken, verpasst habe. SPD und Grüne keilten zurück und im sozialdemokratischen Gewerkschaftslager stöhnte man auf. „Der Bsirske hat sie nicht mehr alle“, sagt ein Industriegewerkschafter. Die Arbeiterführer sind verunsichert. Sie wissen nicht, wie sie mit Rot-Grün umgehen sollen. Jedenfalls gilt das für die Spitzenfunktionäre.

Eine Ebene tiefer sieht das anders aus. An diesem Wochenende hat sich in Berlin ein Linksbündnis formiert, aus dem im Herbst eine Partei werden kann. Mitinitiatoren sind die IG Metall-Chefs von Schweinfurt und Fürth, Klaus Ernst und Thomas Händel. Beide sind aus der SPD rausgeflogen und arbeiten also nun an einer neuen Partei.

Ihre Kollegen an der Spitze der IG Metall und im DGB sehen das Treiben der neuen Linken mit Misstrauen. Sie setzen immer noch auf Rot-Grün und hoffen auf Änderungen an Hartz IV, der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum 1. Januar 2005. Darüber werden sie am Montag mit Parteichef Franz Müntefering und Schröder reden. Wieder einmal.

Besonders bitter stößt den Gewerkschaften die verschärfte Zumutbarkeit auf. Von Januar an muss jeder Bezieher von Arbeitslosengeld II einen Job annehmen, auch wenn der mit bis zu 30 Prozent unter Tarif entlohnt wird. Vom „Arbeitszwang“ ist die Rede und vom Verstoß gegen den Grundgesetzartikel über die freie Berufswahl. Und von einer Lohnspirale nach unten. „Im Friseurhandwerk Ost liegt der Stundenlohn bei 3,80 Euro oder im Thüringer Bewachungsgewerbe bei 4,35 Euro“, sagt Verdi-Sprecher Harald Reutter. „Da nochmal 30 Prozent runter – das geht nicht.“

Um die Lohndrift nach unten zu stoppen, erwägen Sozialdemokraten und Gewerkschafter einen gesetzlichen Mindestlohn und haben dazu eine „Arbeitsgruppe niedrige Einkommen“ eingesetzt. Auch am Montag tagt dieser Kreis, dem unter anderem SPD-Generalsekretär Uwe Benneter, der nordrhein-westfälische Parteichef Harald Schartau, Heinz Putzhammer aus dem DGB-Vorstand und der IG Metall–Vize Berthold Huber angehören. Ob dabei was rauskommt, ist mehr als fraglich. Die Sozialdemokraten hätten das Thema nur ins Spiel gebracht, um ihr schlechtes Gewissen über die Folgen von Hartz IV zu besänftigen, argwöhnen Gewerkschafter. Im Übrigen halten sie zumeist nichts von gesetzlichen Mindestlöhnen, weil Löhne nunmal Sache der Tarifparteien seien. „Schmoldt kotzt, wenn er Mindestlöhne hört“, sagt ein Gewerkschafter über den Vorsitzenden der IG Bergbau, Chemie, Energie.

Hubertus Schmoldt zählt zu den treuesten Anhängern Schröders. Gemeinsam mit den Chefs der Bahngewerkschaft Transnet und der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten plädiert er für kritische Solidarität mit der Regierung. „Die SPD ist ihre Partei, deshalb wollen sie nicht auf eine besondere Beziehung zu ihr verzichten“, sagt der Berliner FU-Professor und Gewerkschaftsforscher Bodo Zeuner. Aus anderen Gewerkschaften hört man dagegen schon mal einen Opportunismus-Vorwuf: „Schmoldt ist auf Konsenskurs, weil er sich davon was für seine Klientel, für die Pharma- und die Chemiebranche verspricht.“

Neben der von Schmoldt angeführten Fraktion, die im Großen und Ganzen hinter der Regierung steht und die guten Beziehungen zu partiellen Reformänderungen nutzen möchte, sieht Zeuner zwei weitere Gruppen. DGB-Chef Michael Sommer und der stellvertretende IG Metall-Vorsitzende Huber verkörpern demnach die Strömung, die auf Distanz zur SPD geht, aber die Sozialdemokraten immer noch als „das kleinere Übel“ sieht. Die dritte Gruppe wird angeführt von Bsirske und dem IG Metall-Boss Jürgen Peters. Die Chefs der weit und breit größten und einflussreichsten Gewerkschaften plädieren Zeuner zufolge für „Aquidistanz“, sozusagen den gleichen Abstand zur SPD wie zur Union. Das Kalkül dabei: Die nächste Regierung wird sowieso von der Union geführt und zuvor wollen die Gewerkschaften nicht mit der SPD in den Abgrund fallen. Zeuner sympathisiert mit Bsirske/Peters und ermuntert sie, sich mit anderen sozialen Bewegungen und Initiativen gegen die Politik der Regierung zu verbünden. „Bündnisse mit dem Samariterbund und der Caritas?“, höhnen andere Gewerkschafter dagegen.

Der Arbeiterbewegung fehlt offenbar die Richtung. Und der Einfluss. Zeuner zufolge machen die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche bei einigen SiemensBetrieben und das Durchziehen der Agenda 2010 durch die SPD-Regierung eins deutlich: „Die Gewerkschaften sind zurzeit relativ machtlos.“

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