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Werksbesuch mit Abstand. MTU Vorstandschef Reiner Winkler (li.) neben DGB-Chef Reiner Hoffmann und Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke (re.) im Triebwerks-Teststand in Ludwigsfelde.

© MTU/Oliver Lang

Gewinner und Verlierer der Coronakrise: Brandenburger Wechselfälle

Die Post hat von der Coronakrise profitiert, beim Triebwerksbauer MTU brach das Geschäft ein. Ortstermine mit Ministerpräsident Woidke und DGB-Chef Hoffmann.

Der Held der Corona-Zeit steht früh auf, fährt aus dem Spreewald bis kurz vor Berlin und bugsiert gegen 8 Uhr seinen Transporter ans Verladetor. Seit 30 Jahren arbeitet Mario Zahl bei der Post. In Lichtenrade stellt er werktags 150 bis 200 Pakete zu und läuft dabei acht bis 15 Kilometer. Über die Jahre wurden die Pakete größer und schwerer, 30 Kilo Katzenstreu sind in Zeiten des Online-Handels keine Seltenheit. Der zunehmende Verkehr macht Zahl die Arbeit schwer, und obgleich „die Leute weniger Trinkgeld geben als früher“, wie Zahl erzählt, ist er zufrieden. Von gut 3000 Euro brutto bleiben ihm 2000 Euro. Davon lässt sich im Spreewald gut leben.

Die Lieferkette hat gehalten

„Ich bin hier, um danke zu sagen für Ihre Arbeit“, richtet sich Dietmar Woidke an diesem Sommermorgen in Großbeeren an Mario Zahl und dessen Kollegen in der „mechanisierten Zustellbasis“, wie die Post ihre neuen Paketverteilzentren nennt. „Hoffentlich haben Sie jeden Tag freundliche Kundenkontakte“, wünscht der Ministerpräsident und erzählt von den ersten Wochen im Lockdown, als er sich Sorgen machte über Logistikketten und die Versorgung mit Gütern des Alltags. Auch die Zusteller der Post hätten ihm die Sorgen genommen.

Weniger Flugzeugtriebwerke zu warten

Woidke ist mit dem DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann, der im Rahmen einer Sommerreise Unternehmen in der Region besucht, nach Großbeeren gekommen. An diesem Morgen steht neben dem Corona-Gewinner Deutsche Post DHL der Coronaverlierer MTU in Ludwigsfelde auf dem Programm. Der Flugverkehr fiel fast komplett aus – und in der Folge werden weniger Triebwerke gewartet und instandgesetzt. Trotzdem will der Dax-Konzern aus München auf Kündigungen in der 860 Personen umfassenden Belegschaft in Ludwigsfelde verzichten und weiter auf „Excellence made in Brandenburg“ vertrauen. An einem traditionsreichen Standort, wo einst das russische Kriegsflugzeug MiG-21 gewartet wurde und wo nach der Wende die Ansiedlung von MTU für Woidke der „Startschuss“ war für den Aufschwung der Luft- und Raumfahrtindustrie in Berlin- Brandenburg mit heute mehr als 20 000 Arbeitsplätzen.

Automatische Paketsortierung

Gut 11 000 Personen sind in der Region für die Post unterwegs: Es gibt fünf Briefzentren (in Tempelhof, Stahnsdorf, Schönefeld, Hennigsdorf und Cottbus) sowie zwei Paketzentren in Börnicke (Havelland) und Rüdersdorf (Märkisch Oderland); ein drittes mit rund 800 Arbeitsplätzen baut die Post in Ludwigsfelde: Bis 2022 entsteht eine Anlage, in der bis zu 50 000 Pakete bearbeitet werden können – in der Stunde. Von den großen Zentren werden die Päckchen und Pakete dann zu acht regionalen Zustellbasen gefahren: Großbeeren und Kleinmachnow, Mariendorf, Spandau, Marzahn, Neukölln, Lichtenberg und Pankow. Aus dem Lkw geht es auf ein Förderband, wo ein Laserscanner die Pakete erfasst und der Zustelltour zuordnet; auf einer Rampe rutschen die Pakete schließlich direkt in die Arme von Mario Zahl, der nach wenigen Metern in seinem Transporter steht.

„Durch die beschleunigte automatische Sortierung können Pakete früher als bisher verladen und damit noch schneller an die Kunden ausgeliefert werden“, freut sich Abteilungsleiter Murat Celik, der mit seinen 120 Kollegen jeden Tag 60 Tonnen in Großbeeren umschlägt und vor 23 Jahren als Briefträger bei der Post angefangen hat.

Woidke klagt über geringe Tarifbindung

Es gibt schlechtere Arbeitgeber – im Speditionsgewerbe sowieso, aber auch im Land Brandenburg insgesamt. Alle Mitarbeiter sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt und werden nach Tarif bezahlt. „Wir haben in Brandenburg eine viel zu niedrige Tarifbindung“, sagt Woidke. „Dabei wollen die Menschen gut Geld verdienen und sich auch wohl fühlen im Betrieb.“

Das hätte der DGB-Chef nicht besser sagen können. Hoffmann sieht die Post in Großbeeren und MTU ein paar Kilometer weiter in Ludwigsfelde als Modelle für „gute Arbeit in Betrieben mit Mitbestimmung und Tarifverträgen“. Deshalb sind die prominenten Herren ja vorbeigekommen.

Schlechte Auslastung in Ludwigsfelde

Der Dax-Konzern MTU hat 2019 mit 4,6 Milliarden Euro Umsatz einen Gewinn von 760 Millionen Euro erwirtschaftet. An 16 Standorten in aller Welt arbeiten 5500 Personen für MTU, hierzulande werden Flugzeugtriebwerke und Industrieturbinen in Hannover und Ludwigsfelde auseinandergebaut, die Teile geprüft und überarbeitet, bei Bedarf ausgetauscht und das aus rund 6000 Teilen bestehende Flugzeuggetriebe nach etwa zwei Monaten wieder zusammengesetzt und getestet zurück an den Kunden geliefert. In der Regel ist nach 15 000 Flugstunden eine Triebwerkswartung fällig.

Die Auslastung in Ludwigsfelde, wo in normalen Jahren 300 Triebwerke aufbereitet werden und wo bis Anfang März die Hallen voll standen, liegt in diesem Jahr bei 60 und im kommenden voraussichtlich bei 75 Prozent. „Es ist die größte Krise in der Luftfahrt aller Zeiten“, sagt Reiner Winkler, der Vorstandsvorsitzende, der aus München nach Ludwigsfelde gekommen ist, um Woidke und Hoffmann zu begrüßen. Wenn eben möglich, werde man mit Kurzarbeit und Arbeitszeitverkürzung versuchen, die hochqualifizierten Arbeitskräfte zu halten. Winkler bittet Woidke, sich für eine Verlängerung der Kurzarbeiterregelung auf 24 Monate einzusetzen und warnt vor einem Rechtsanspruch auf Homeoffice. „Das wäre Quatsch“, sagt Winkler, und das sieht der DGB-Chef ganz ähnlich. Trotz der guten Erfahrung in der Corona-Zeit ist Hoffmann die ständige Heimarbeit nicht ganz geheuer. Zu viele Fragen seien offen. Und für die Zusteller der Post und die Ingenieure bei MTU kommt das Homeoffice sowieso nicht in Frage.

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