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Wirtschaft: Giftige Atmosphäre

Das EU-Parlament will die neue Chemikalien-Verordnung verwässern – Verbraucherschützer warnen

Straßburg/Berlin - Die Umwelt- und Verbraucherschützer versuchen auch in letzter Minute, gegen die Verwässerung der Chemikalienrichtlinie zu kämpfen: „Chemikalien können Krebs erregen oder die Fruchtbarkeit beeinträchtigen. Die Stoffe finden sich fast überall – zum Beispiel Duftstoffe in Parfums oder imprägnierende Stoffe in Regenjacken“, sagt Ulrike Kallee von Greenpeace. An diesem Donnerstag wird das EU-Parlament vermutlich einem abgeschwächten Entwurf der Chemikalienverordnung zustimmen, der die Zulassung von chemischen Stoffen neu regeln soll.

Diese Stoffe können Allergien auslösen und sind in der Umwelt nur schwer abbaubar. Bisher gelangen Informationen über diese Stoffe aber oft erst an die Öffentlichkeit, wenn Ärzte etwa Allergien feststellen und es also oft schon zu spät ist.

Denn Chemikalien, die bereits vor 1981 zugelassen worden sind, wurden nicht auf ihre Umwelt- und Gesundheitsverträglichkeit getestet. Dabei geht es um 100000 Stoffe, die von der Industrie in allen möglichen Produkten verwendet werden. Die Europäische Kommission hat sich dieses Problems angenommen und eine Richtlinie erarbeitet – unter dem Namen Reach (Registrierung, Evaluierung und Autorisierung von Chemikalien). Rund 30000 der so genannten „Altstoffe“ sollten zunächst registriert und dann auf Gefahren für Mensch und Umwelt überprüft werden. Gefährliche Stoffe sollen verboten und ersetzt werden, wenn es sichere alternative Substanzen gibt.

Allerdings müssen diesem Vorschlag zunächst das Europäische Parlament und danach die Mitgliedstaaten der EU zustimmen. Das EU-Parlament wird die Richtlinie unter dem Druck der Chemieindustrie vermutlich so weit verwässern, dass sie den Verbrauchern nur noch wenig nutzt. In der vergangenen Woche hatten sich Konservative und Sozialisten auf einen entschärften Kompromiss geeinigt, der „die Interessen der Chemieindustrie mit den Zielen des Gesundheits- und Umweltschutzes in eine bessere Balance“ bringen soll. Die Grünen kämpften dagegen: „Über 300 Chemikalien finden sich heute im Blut eines Europäers“, meint die Grüne Hiltrud Breyer. Für sie wird die Reach-Abstimmung an diesem Donnerstag „zum Lackmustest, ob die EU nur eine Gemeinschaft für Wirtschaftsinteressen oder auch für Umwelt- und Gesundheitsinteressen ist.“

Viele Abgeordnete beugen sich den Interessen der Chemie-Industrie: Schließlich sind 1,7 Millionen Arbeitnehmer in der Branche beschäftigt, weitere drei Millionen hängen indirekt von ihr ab. Gerade die deutschen Europaabgeordneten von SPD, CDU/CSU und der FDP setzen sich deshalb für den Kompromiss ein. „Wir mussten den Umweltschutz in Einklang bringen mit der Wettbewerbsfähigkeit unserer Chemieindustrie. Dieser Drahtseilakt ist uns jetzt gelungen“, meint die SPD-Europaabgeordnete Dagmar Roth- Behrendt.

Der schwarz-rote Reach-Kompromiss hat das Ziel, die Registrierung, Kontrolle und Zulassung der chemischen Stoffe spürbar zu vereinfachen und damit Reach vor allem für den Mittelstand handhabbarer zu machen und die Kosten um fast ein Drittel zu senken.

Wann die endgültige Abstimmung im Ministerrat unter den EU-Mietgliedstaaten stattfindet, ist noch unklar. Die deutsche Regierung hat um eine Verschiebung des für Ende November geplanten Termins gebeten, die Briten, die die Präsidentschaft der Union innehaben, drängen auf ein Datum vor Ende des Jahres, denn dann endet ihr Vorsitz. Die große Koalition jedenfalls wird sich wohl für eine Verwässerung der Richtlinie einsetzen. In dem Koalitionsvertrag wird auf die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft hingewiesen und eine grundlegende Änderung der Richtlinie verlangt.

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