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Wirtschaft: „Grenzenloser betriebswirtschaftlicher Zynismus“

Kommt die Kopfpauschale, müssen die Krankenkassen Leistungen streichen Von Herbert Rebscher

Man ist an Richard von Weizsäckers Satz von der „Machtvergessenheit und Machtversessenheit“ der Politik erinnert, wenn man die Eckpunkte der Gesundheitsreform analysiert. Sie sind konzeptionslos, auf Bürokratie getrimmt und ordnungspolitisch widersprüchlich. Sie verfolgen nur ein Ziel: die politische Einigungsfähigkeit zwecks Machterhalt zu demonstrieren und jede ernsthafte Debatte auf Zeiten „eigener Mehrheiten“ der beiden „Volks“-Parteien zu verschieben. Deshalb durften keine langfristig festlegenden Gedanken fixiert werden.

Oder man interpretiert die Eckpunkte als Schachzug, schleichend eine gesellschaftspolitische Wende einzuleiten, die eine breite Bevölkerungsmehrheit nicht will – und nicht merken soll. Ich rede vom faktischen Ende einer Sozialversicherung, vom Beginn eines Systems staatlich organisierter Einheitsgrundversorgung. Daneben entsteht eine privat zu finanzierende Qualitätsversorgung, über deren Inanspruchnahme allein die private Kaufkraft per Kopfpauschale entscheidet. Da knallen die Sektkorken bei Wohlhabenden, Arbeitgebern, Privatversicherung und CDU, die so ihre „Gesundheitsprämie“ doch noch verwirklichen kann.

Verlierer sind alle, die die Inanspruchnahme notwendiger medizinischer Leistungen unabhängig von Vermögen und Einkommen als kulturelle Errungenschaft verteidigen wollten. Verlierer ist aber auch die SPD, die sich nach unmerklicher Gegenwehr als Erfüllungsgehilfe einer „Kopfpauschale“ wiederfindet, gegen die sie Wahlkampf geführt hat.

Was bringen die Eckpunkte – ich sehe keine Reform – inhaltlich? Zunächst viel Staat: eine überflüssige, teure, neue staatliche Beitragseinzugsstelle, die niemand braucht, alle behindert und auf Jahre eingespielte und effiziente Arbeitsprozesse bei Arbeitgebern, Kassen, Arbeitslosenversicherung, Rentenversicherung und Sozialämtern neu organisieren muss. Außerdem eine Kapitalsammelstelle namens „Gesundheitsfonds“, die die (fixierten) Beiträge von Arbeitgebern und Versicherten und Steuergelder verwaltet und den Kassen zuweist. Genau das leistet heute effizient das Bundesversicherungsamt beim Risikostrukturausgleich.

In Wahrheit vernebelt der geplante Monsterfonds, dass die paritätische Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) offiziell beendet wird und Arbeitgeber dauerhaft von der Dynamik der Ausgaben befreit werden. Staat, Staat und noch einmal Staat lautet das Credo dieser Politik. Wettbewerb findet über das unsinnigste Vehikel, über die „Kopfpauschale“ statt. Gut wirtschaftende Kassen bräuchten keine Prämie – so die falsche Botschaft. Das Gegenteil ist richtig. Leistungsstarke und patientennahe Kassen brauchen Prämien, leistungsschwache und -verweigernde keine. Die Koalition will Versorgungsmanagement bestrafen, -abstinenz belohnen.

Kommt die Kopfpauschale, werden alle Kassen deshalb diese Prämie als alleinigen Wettbewerbsparameter begreifen müssen. Sie müssten Satzungsleistungen (Rehabilitation, häusliche Krankenpflege) streichen, sinnvolle Versorgungsoptionen für Chroniker aufgeben und Serviceangebote vor Ort kürzen. Im Fokus stünde allein der gesunde, zahlungskräftige Kunde. Ein grenzenlos betriebswirtschaftlicher Zynismus liegt in diesem Modell, dem jede gesundheitspolitische Orientierung fehlt. „Eine ökonomische Missgeburt“, wie der wissenschaftliche Beirat des Wirtschaftsministeriums urteilt. Herbert Rebscher ist Chef der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK).

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