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Wirtschaft: Große Buffets für kleine Anleger

DÜSSELDORF . Das Objekt der Begierde heißt Joachim Funk, ist Vorstandsvorsitzender der Mannesmann AG und hält einen ziemlich zahlenlastigen Vortrag über das Geschäftsjahr 1998.

DÜSSELDORF . Das Objekt der Begierde heißt Joachim Funk, ist Vorstandsvorsitzender der Mannesmann AG und hält einen ziemlich zahlenlastigen Vortrag über das Geschäftsjahr 1998. Claudia Dörges würde ihn gerne persönlich sehen. Eingekeilt in einer Horde von Kleinanlegern versucht sie, sich den Weg in den Hauptsaal des Düsseldorfer Congress Centrums Süd zu bahnen - ohne Erfolg. Streng blickende Herren mit kurzem Haar und korrekt sitzender Uniform verwehren ihr den Zutritt. Im Saal gibt es nicht einmal mehr Stehplätze. "Das habe ich mir aber anders vorgestellt", ruft sie enttäuscht.

Mannesmann, Deutsche Telekom, DaimlerChrysler - die diesjährige HV-Saison zeigt: Bei Privatanlegern ist nicht nur die Aktienanlage angesagt. Immer mehr nehmen ihre Eigentümer-Rechte wahr und besuchen die Hauptversammlungen "ihrer" Gesellschaft. Die Aktiengesellschaften sind bemüht, ihre Eigentümer mit Infos und Internet-Auftritt bei Laune zu halten. Das gelingt ihnen mal mehr mal weniger. Denn die Ansprüche und Erwartungen, die Privatanleger an die Informationspolitik und die Hauptversammlung haben, sind sehr unterschiedlich.

"Ich will wissen, wie es im Röhrengeschäft von Mannesmann weitergeht - die reden hier doch nur noch von der Telekommunikationssparte", erzählt Rainer Koss, der aus Köln zur Hauptversammlung gekommen ist. Der Veranstaltung selbst mißt der Anleger für seine Kauf- oder Verkaufsentscheidung keine besonders große Bedeutung bei: "Sie hat für mich eher informativen Charakter." Für die große Zahl der nach Düsseldorf angereisten Rentner hat das Aktionärstreffen ganz offensichtlich eher kulinarischen Charakter. Während sich Aktionäre im Saal um die letzten freien Sitzplätze balgen, ist im Foyer bereits die Schlacht am Buffet im vollen Gange. Trotz der unvermeidlichen HV-Touristen werden die Aktionärstreffen für die Gesellschaften immer wichtiger. Wer im Zuge einer Kapitalerhöhung etwa frisches Geld vom Publikum will, wird auch danach bemessen, wie das Unternehmen auf der jährlichen HV mit den Kleinanlegern umspringt. "Hier hat sich in der Vergangenheit einiges getan", berichtet Reinhild Keitel, Sprecherin der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre. DaimlerChrysler wird zum Beispiel ein echter Bewußtseinswandel im Hinblick auf den Umgang mit seinen Klein-Aktionären attestiert: Noch in den achtziger Jahren wurden Privatanleger auf den Hauptversammlungen schon mal rüde abgebürstet. Diese Arroganz kann sich der Konzern heute nicht mehr leisten. Das Automobilunternehmen wendet jetzt alleine Millionen dafür auf, um dem Aktionärsansturm in geordnete Bahnen lenken zu können.

Investor Relation heißt das Zauberwort: Durch Service und offene Informationspolitik versuchen die Aktiengesellschaften, auch die privaten Anleger an sich zu binden. Doch von dem Service bei Mannesmann ist Claudia Dörges noch wenig überzeugt. Mit Müh und Not hat die Betriebswirtschaftstudentin einen Platz in einem der Säle ergattern können, in denen die Vorträge per Video zu sehen sind. Mehr hält die Jungaktionärin dagegen vom Internet-Angebot des Konzerns. "Auf den Seiten kann man schon viel über Strategien und Vorhaben lesen." Dieses Medium ist aus Sicht von Christian Dorf, Investor Relation Manager bei Mannesmann, ideal, um Privatanleger zu erreichen. "Großinvestoren können wir leicht direkt erreichen, aber bei Kleinanlegern ist das erheblich schwieriger - wir kennen sie ja nicht", umschreibt er das Problem seiner Abteilung.

Einen direkteren Draht zu den Anlegern verspricht sich Dorf auch durch die Umstellung auf Namensaktien. Diese bislang vernachlässigte Aktiengattung wird gerade auch aus Investor-Relation-Sicht bei deutschen Unternehmen immer beliebter: DaimlerChrysler hat mittlerweile Namensaktien eingeführt, ebenso wie der Informationstechnik-Dienstleister AC-Service, der am Neuen Markt notiert ist. Insbesondere in schwierigen Zeiten bewährt sich nach Angaben von AC-Service-Vorstandschef Herbert Werle die direkte Beziehung zum Aktionär. An die Teilhaber können dann Quartalsberichte, E-Mails und Aktionärsbriefe gesandt werden. Dank der genaueren Kenntnisse der Aktionärsstruktur ist eine effizientere Planung von Road-Shows möglich, auf der sich das Unternehmen den Anlegern vorstellt.

Auf immer mehr Resonanz stößt auch die Möglichkeit, via E-Mail den Anlagebetreuern Fragen zum Unternehmen und zur Aktie zu stellen. "Zur Zeit gehen rund 30 Anfragen im Monat bei uns ein - mit steigender Tendenz", berichtet Anleger-Betreuer Dorf.

Wem der Rummel auf dem Aktionärstreffen von großen Publikumsgesellschaften zu groß ist, den empfiehlt Kleinaktionärsvertreterin Keitel, Aktien von kleinen und mittleren Gesellschaften zu kaufen und deren Hauptversammlungen zu besuchen. "Vor allem die Smax-Unternehmen mit regionalen Schwerpunkt müssen die Privatanleger ernst nehmen", erläutert sie. Hier lohne sich das Engagement, und Anleger könnten tatsächlich noch Einfluß ausüben. Bei den großen Gesellschaften setzt Keitel auf die Technik. "Es wäre doch eine tolle Sache, wenn Aktionäre per Mausklick den Aufsichtsrat und Vorstand entlasten könnten", regt sie an. Über den Streß auf den Hauptversammlungen kann Ernst Avemarg nur den Kopf schütteln. "Das ist doch hier die reinste Volkskirmes", wundert sich der 75jährige. Bei Mannesmann eingestiegen ist der Alt-Investor, als Aufsichtsratschef Hilmar Kopper noch fürs Abitur büffelte: 1952. Damals sah auch die Investor Relation noch anders aus: "Da wurde man auf Hauptversammlungen manchmal vom Vorstandschef per Handschlag begrüßt."

HOLGER ALICH, HB

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