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Essen im Überfluss: Sebastian Moertl (links) und Bernd Hornig von der Dresdner Bäckerei Krause präsentieren ihre Spezialitäten, darunter echte Dresdner Eierschecke. Auf der Grünen Woche sind bis Sonntag über 1700 Aussteller aus 68 Ländern.

© dpa

Grüne Woche: Schnittchen fürs Gemüt

Am Sonntag geht die Grüne Woche zu Ende. Schon jetzt ist klar: Die Zahl der Besucher geht zurück. Dennoch sind Bauern und die Messe zufrieden.

Maik und Michael kennen sich aus. Jedes Jahr fahren die beiden aus Frankfurt an der Oder mit ihren Freunden zur Grünen Woche, der Freitag vor dem Abschlusswochenende ist ihr Lieblingstag. Die Linien in ihren Gesichtern verraten, dass sie einige der 90 Geburtstage, die die Messe inzwischen auf dem Buckel hat, miterlebt und mitgefeiert haben. Stammgäste also, Kenner der weltgrößten Ernährungsmesse. Doch dieses Jahr ist alles ein wenig anders als sonst. Leerer. „Sonst ist es so proppevoll, dass man keinen Platz zum Umfallen hat“, erzählen die Brandenburger. Doch an diesem Freitag morgen muss sich niemand um den Einlass drängen. Auch die Straßen und die Parkplätze sind leer.

Sind es die Flüchtlinge im ICC, die nur durch die Autoschneise getrennt, die Lust am ungehemmten Genuss trüben? Schlägt die Abwesenheit Russlands auf das Gemüt der Messefreunde?

Die Messe sagt, es ist das Wetter

„Nein“, sagte Messesprecher Wolfgang Rogall. „Die Grüne Woche bleibt die besucherstärkste Messe Berlins.“ Am Nachmittag wurde der 300 000. Besucher begrüßt, 400 000 sollen es sein, wenn die Messe am Sonntagabend schließt, hofft Bauernpräsident Joachim Rukwied. Das ist nicht schlecht, aber im vergangenen Jahr lief es besser. Drei bis vier Prozent weniger Besucher waren es bis kurz vor Schluss. Schuld, meint Rogall, sei vor allem das Wetter: „Schnee und Eis halten die Autofahrer ab.“ Und auch die Berliner, die mit Bahn und Bus anreisen könnten, trauen sich bei der Witterung nicht auf die Straße, immerhin haben viele schon das Rentenalter erreicht. Aber: arktische Temperaturen waren schon immer Begleiter der Grünen Woche. Mag der Dezember noch so mild sein, spätestens Mitte Januar wird es kalt.

Peter (61) und Petra (54) zumindest schreckt das Wetter nicht. Die Eheleute kommen aus Wildenbruch bei Michendorf. Zwei Jahre waren sie nicht da, aber jetzt sind sie neugierig. Petra, die Köchin, will sich Küchengeräte anschauen, Peter steht auf Trecker, Technik und Pools. Er hat noch einen weiten Weg vor sich, denn die Technik ist ans Ende der Messe verbannt. Zwischen Rinderställen und Katzenhäusern können Menschen wie Peter Gartenhäuschen, Garagentore oder Fledermausdünger anschauen – das Interesse ist, gelinde gesagt, übersichtlich.

"Die Leute kaufen nicht", heißt es in Marokko

Der Erlebnischarakter und das große Angebot an Essen seien die Attraktionen, mit denen die Messe punktet, sagt Wolfgang Rogall. Ein Schnäpschen in der Brandenburg-Halle, ein Wittinger Premiumbier bei den Niedersachsen, an diesem Freitagmorgen um halb elf trinken sich schon einige Besucher Mut an für den späteren Rundgang in den exotischeren Hallen. Etwa beim Partnerland Marokko. Wie ein orientalischer Palast sieht die große Halle aus. Doch die beiden Männer, die an einem der Stände Olivenöl anbieten, sind nicht zufrieden. „Die Leute kaufen nicht“, sagen sie. Das mag daran liegen, dass es viel Olivenöl gibt, an vielen Ständen in dieser Halle. Oder ist es der Preis? Vier Euro für 250 Milliliter.

"Die Geschäfte laufen gut", heißt es bei der Schweiz

Glaubt man den Schweizern, ist Konsumieren auf dieser Grünen Woche keine Frage des Geldes. „Die Geschäfte laufen gut“, sagt Roman Benker, der an seinem Stand Raclette, Chäschüechli und allerlei andere Spezialitäten anbietet. Es seien zwar weniger Leute da als früher, aber die, die kommen, schauten nicht aufs Geld. Obwohl der Genuss bei den Eidgenossen alles andere als billig ist. 7,90 Euro kosten 100 Gramm vom Bündner Fleisch, der starke Franken treibt die Preise in die Höhe. Dafür bekommt man in der Halle aber auch Alpenidyll geboten, junge Mädchen mit kurzen Röcken und einer Plastikziege vor einer Berghütte. Wer es weniger freizügig mag, kann an den Hobelkäse-Stand gehen, an dem zwei als Mönche verkleidete Verkaufskräfte Kostproben servieren.

Überhaupt, Kostproben. Lange waren sie weg, jetzt gibt es sie wieder, die kleinen Geschenke. Schnittchen und Brotaufstrich in der Brandenburg-Halle, Birnen bei den Niederländern, Saft in der Halle des Bundeslandwirtschaftsministers – ausgeschenkt von einer der zahlreichen Landwirtschaftsköniginnen, die auf der Messe zu sehen sind.

Die Bauern sind zufrieden mit dem Verlauf. „Mehr als zufrieden“, wie Verbandspräsident Joachim Rukwied meint. Das Image des Berufsstands habe sich verbessert, glaubt der Bauernpräsident. Im vergangenen Jahr habe es auf dem Erlebnisbauernhof des Bauernverbands noch jede Menge kritische Fragen zur Tierhaltung gegeben, dieses Jahr sei die Diskussion deutlich sachlicher. Das sehen auch die Biobauern so. Im agrarpolitischen Dialog nehme die Polarisierung zwischen den Lagern ab, heißt es in der Bilanz des Bioverbands Bioland zur Grünen Woche. Auch die sinkende Zahl der Menschen, die am vergangenen Wochenende an der Protestdemo in Berlin teilgenommen haben, spricht für ein Ende der Eiszeit.

Die Bauern klagen

Bauern, Geflügelhalter, Schweinemäster, sie alle bemühen sich um ein besseres Image. Mit Initiativen für eine bessere Haltung ihrer Tiere kommen die Landwirte den Kritikern der Massentierhaltung entgegen. Das ist nicht nur eine Gewissensfrage, sondern auch der Not geschuldet. Weil die Preise für Milch und Schweinefleisch in den Keller gerutscht sind, kämpfen viele Betriebe ums Überleben. Auf kurzfristige Verbesserungen können sie nicht hoffen. Gespräche mit Molkereien, Mühlen oder der fleischverarbeitenden Industrie hätten gezeigt, dass die Abnehmer keinesfalls vorhaben, den Bauern demnächst mehr zu zahlen, berichtet Rukwied. Um höhere Preise zu bekommen, müssen die Landwirte daher etwas bieten – Tierwohl etwa.

Maik und Michael ist das Wohl der Tiere nicht so wichtig. Sie wollen es krachen lassen. Den ganzen Tag bleiben sie auf der Messe, sie sind die ersten, die kommen, und die letzten, die gehen. Ihre Frauen haben sie zu Hause gelassen.

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