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Grundeinkommensbewegung in der Schweiz: Spitzenbanker: "Der Gedanke ist bestechend einfach"

Seit jeher beschäftigen sich Philosophen mit der Frage, ob jeder einen Anteil an der Erde haben solle. Eine Lösung wäre das Grundeinkommen. In der Schweiz wird darüber vielleicht bald abgestimmt.

Vielleicht muss man in die Schweiz, um sich manche Dinge vorzustellen. Auf den Zürichberg zum Beispiel, mit seinen Villen und Gärten. Auf den Bürgersteigen liegen sauber verschnürte Pakete. Das Altpapier, das an diesem Sommermorgen von der Müllabfuhr weggeräumt wird. Wobei wegräumen in der Schweiz „versorgen“ heißt. Als handle es sich um einen Rettungseinsatz. In einem Land also, dem es so gut geht, dass es sein Altpapier behandeln kann wie einen Schwerverletzten, da können einem schon Ideen kommen.

Diese etwa: Jeder kriegt Geld vom Staat, einfach so. Ob er alt ist oder jung, arm oder reich, ob er arbeitet oder nicht. Ein bedingungsloses Grundeinkommen. Das klingt nach Märchenstunde, nicht mal der Kommunismus ist so weit gegangen. Doch wir sind auf dem Zürichberg in der Schweiz. Nirgendwo in Europa gibt es so viele Reiche, hier rennt man eher in einen Millionär als in einen Hundehaufen.

In der Zürichbergstraße liegt die Villa, in der Klaus Wellershoff seine Unternehmensberatung hat und seine Ideen entwickelt, wie eben die mit dem Grundeinkommen. Wellershoff war früher Chefstratege einer großen Bank, der Schweizer UBS. Jetzt berät er große Banken. Still ist es in seinem Büro, die Stadt und die Welt sind weit weg, die Probleme sowieso. Da lässt man schon mal seine Gedanken schweifen, über den Horizont, der hier grün ist und bewaldet, und dahinter kommen der See und die Berge. Das mit dem Grundeinkommen stellt sich Wellershoff so vor: Den einen würde es Dinge ermöglichen, die sie immer schon tun wollten. Arbeit oder Ehrenamt, Auszeit oder Elternzeit, Kreatives oder Soziales. Den anderen würde es geben, was sie jetzt schon bekommen. Und es würde sich darin „die Solidarität der Gesellschaft ausdrücken“, sagt Wellershoff. Eine Solidarität, die aber nichts fordere, keine Nachweise, Umschulungen, Ein-Euro-Jobs.

Wellershoff, 47, sitzt im rotkarierten Hemd da, wie auf einer Berghütte. Im Konferenzraum sieht es auch aus wie in einer Berghütte, holzgetäfelte Wände, ein Geweih als Lüster. Nichts ist hier so, wie man es erwartet. Auch Wellershoff ist eine einzige Irritation. Ein Unternehmensberater, der Worte wie „bedingungslose Solidarität“ in den Mund nimmt. Ein Ex-Banker mit gesellschaftspolitischen Visionen.

Die Idee vom Grundeinkommen ist nicht neu. Götz Werner, Gründer des dm-Drogeriemarkts, fordert es schon lange. Die Grünen denken immer mal wieder darüber nach, und der ehemalige CDU-Ministerpräsident Dieter Althaus will ein „Solidarisches Bürgergeld“. Das Grundeinkommen ist vielleicht die letzte soziale Utopie, bei der sich, von links bis neoliberal, alle wiederfinden.

Doch nirgendwo ist man der Utopie so nahe wie in der Schweiz. Hier gibt es eine ganze Grundeinkommensbewegung. Künstler, Unternehmer, Wirtschaftsleute, die im nächsten Frühjahr eine Volksinitiative starten. Wenn sie 100 000 Unterschriften gesammelt haben, dann muss die Schweiz darüber abstimmen. Und es gibt viele, die ein Grundeinkommen befürworten, allein die Facebook-Kampagne hat 50 000 Unterstützer. Die Schweizer wollen ihre Gesellschaft offenbar so gut versorgt wissen wie ihr Altpapier.

Aber wie das mit Utopien so ist: Kann man sie umsetzen? Beziehungsweise: Wer zahlt das alles?

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Wenn es nach der „Initiative Grundeinkommen“ geht, soll jeder 2500 Franken bekommen, Kinder einen Teil. Da ist man schnell bei 200 Milliarden Franken, mehr als ein Drittel des Schweizer Bruttoinlandsprodukts. Die Leute von der „Initiative Grundeinkommen“ sagen: Sozialleistungen würden wegfallen. Die Mehrwertsteuer müsste erhöht werden, von derzeit acht auf zwanzig Prozent. Die Schweizer Utopisten denken da durchaus wirtschaftsliberal: Nicht das, was man leistet, soll stärker besteuert werden, also das Einkommen. Sondern der Konsum.

Kongresshaus Zürich im März, die Grundeinkommensbewegung tagt. 600 Leute sind gekommen, auf dem Podium fetzen sie sich. Die einen finden, mit einem Grundeinkommen könnten Armut und Arbeitslosigkeit bekämpft werden. Roger Köppel, der jungenhafte Herausgeber der „Weltwoche“, hält dagegen: Die Leute würden sich auf die faule Haut legen. Und Ökonom Wellershoff sagt das, was die wenigsten von einem wie ihm erwarten. Dass ein bedingungsloses Grundeinkommen die Leute selbstständiger mache. Weil jeder sein Leben in die Hand nehmen könne.

Wellershoff kommt aus Wilhelmshaven, der norddeutsche Akzent ist inzwischen schweizerisch weich. Er hat eine klassische Bankerlaufbahn hinter sich, Banklehre bei einer Privatbank in Köln, Studium in St. Gallen und Harvard. Er arbeitete beim Schweizerischen Bankverein, 1998 ging er zur UBS.

Wellershoff spricht leise, so wie es Leute tun, die gewohnt sind, dass andere ihnen zuhören müssen. Wie im Auge von Wirbelstürmen ist es in den Zentren der Macht meistens ruhig. Wellershoff kommt direkt aus einem solchen Zentrum. Er war Chef der Anlagestrategie bei der UBS. 250 Milliarden Franken gab es zu verwalten, und wenn man fand, dass man den Dollar stärker gewichten müsste, „dann haben wir an einem Nachmittag zehn Milliarden Dollar gekauft“. Es klingt nicht prahlerisch, eher wie eine Bilanz. Manchmal schreibt Wellershoff etwas auf ein Blatt Papier, ganz der Bankbeamte, der sich Notizen über einen Kunden macht.

Seine Rolle bei der Bank vergleicht er mit der des Hofnarren. Der dem König alles sagen darf. Und der nicht immer gehört wird. Das musste auch Wellershoff erfahren. Bereits 2005 warnte er vor der Überhitzung des amerikanischen Immobilienmarkts. Die UBS kaufte weiter Immobilienkredite. 2008 dann der Absturz, die Bank brauchte eine Finanzspritze von 60 Milliarden Dollar.

Wellershoff hat den Tag noch gut in Erinnerung, als es mit der Finanzkrise losging. Ein Sonntag im August 2007 war das, zwei Generaldirektoren kamen zu ihm nach Hause und fragten ihn um Rat. Da wusste er: Das wird dramatisch. Nicht zuletzt für die Banker selbst, da alle Generaldirektoren der UBS große Teile ihres Vermögens in UBS-Aktien halten mussten. Wie über Manager-Boni diskutiert werde, hält er „für total oberflächlich, die Leute wissen doch gar nicht, was da läuft“. Da ist er wieder, der Hofnarr, der Dinge sagt, die keinem so recht passen.

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2008 ging er weg von der UBS, wurde Unternehmensberater. Er beschäftigt sich mit Dingen wie der Büroflächenentwicklung in Japan, begann, über Wirtschaft zu schreiben. Er habe einmal etwas anderes machen wollen, sagt er. Vielleicht liegt es auch an der Krise. Wenn über Nacht Banken und Staaten zusammenbrechen, ein ganzes System infrage gestellt werden muss, dann ist auch Zeit für Utopien.

Auf das Grundeinkommen hat ihn ein Jugendfreund gebracht. Wellershoff war mit ihm bei der Marine, auf dem Schulschiff Deutschland. Er leistete normalen Dienst, eine Karriere beim Militär kam nicht infrage, der Vater war Admiral, „da konnte ich nicht in der gleichen Organisation arbeiten“. Mit dem Jugendfreund diskutierte Wellershoff über eine negative Einkommenssteuer, also Geld, das der Staat den Bürgern gibt, statt es ihnen zu nehmen. „Der Gedanke ist so bestechend einfach, dass man nicht lange nachdenken muss.“ Auch er würde den Staatsetat durch eine höhere Mehrwertsteuer ausgleichen.

Seit jeher beschäftigen sich Denker damit, was den Menschen zusteht. Ob nicht jeder einen Anteil an der Erde haben solle, was viele Namen hat: „Basic Income Guarantee“, „Sozialdividende“ oder „Bürgergeld“. Oder eben bedingungsloses Grundeinkommen, BGE. Kurioserweise setzten sich dafür sowohl Visionäre des 18. Jahrhunderts ein, die selbst Marx „utopische Sozialisten“ nannte, als auch neoliberale Theoretiker wie Milton Friedman, der den Sozialstaat abbauen wollte. Alaska hat seit 1982 eine Art Grundeinkommen. Alle, die sechs Monate im Land sind, bekommen eine jährliche Dividende, das Geld stammt aus Erdölgewinnen. 2000 Dollar waren das im Jahr 2000. Und Brasilien beschloss 2004 ein „Grundeinkommen für alle“ und arbeitet daran, es umzusetzen.

Anruf bei Ralf Krämer. Krämer ist ein brummiger Gewerkschafter aus dem Bundesvorstand von Verdi und arbeitet in Berlin. In Berlin wird das Altpapier nicht versorgt, und auch sonst ist hier vieles anders als auf dem Zürichberg. Krämer kann gar nicht alle Argumente gegen das Grundeinkommen aufzählen, so viele sind es. Es würde den Wert der Arbeit mindern, die Löhne kaputt machen, Leute würden entlassen, da alle ja abgesichert seien. Das BGE sei „Aufstocken für alle“, sagt Krämer. Die Gewerkschaften haben es nicht so mit Utopien.

Und Klaus Wellershoff? Ihn reize an der Idee, was ihn an seinem Fach reize, „das Hinterfragen von allgemein anerkannten Weisheiten“. Wobei das Grundeinkommen unter Ökonomen viel weniger umstritten sei als in der Öffentlichkeit, sagt Wellershoff. Die Bundesgrünen haben sich inzwischen davon verabschiedet. „Das bedeutet, dass die Grünen eine etablierte bürgerliche Partei geworden sind“, sagt Wellershoff. Und das finde er eigentlich schade.

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