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Hart oder lax? Oettinger streitet mit den Stromfirmen um die Sicherheit.

© dpa

Günther Oettinger: Bewährungsprobe für den Kommissar

Günther Oettinger fordert harte Stresstests für die Meiler, die Branche hält dagegen. Nun droht der Politiker sogar mit Rücktritt.

Brüssel - Schon drei Tage nach Fukushima schien alles klar zu sein: Da verkündete der EU-Energiekommissar nach einem Treffen von Regierungen, Regulierern und Reaktorbetreibern einen umfassenden Sicherheitscheck für alle 143 Meiler in Europa. „Es geht um eine Neubewertung aller Risiken“, sagte Günther Oettinger damals. Später lehnte er sich noch weiter aus dem Fenster, indem er die Prüfkriterien benannte: Atomkraftwerke müssten den Absturz eines Jets, einen Hackerangriff, eine Terrorattacke oder menschliches Versagen aushalten.

Das hat die Akw-Stresstests auch für Oettinger zu seiner ersten großen Bewährungsprobe als EU-Energiekommissar gemacht. Vor gut zwei Wochen nämlich schrieb die Vereinigung westeuropäischer Atomaufseher (Wenra) in einem Papier zu den Tests, dass die Meilersicherheit nur auf natürliche Einflussfaktoren wie Überschwemmungen oder Erdbeben hin untersucht werden sollten. Zudem sind darin keine Besuche externer Experten vor Ort vorgesehen – die Betreiber sollten ihre Anlagen selbst untersuchen. Und als bei einem EU-Energieministertreffen Anfang des Monats Frankreich und Großbritannien sich kritisch zu weitergehenden Stresstests äußerten, schien Oettingers Niederlage schon besiegelt.

Die Sache liegt dennoch ein wenig anders. Festgelegt werden sollen die Kriterien für den Stresstest nämlich erst am heutigen Donnerstag. Da treffen sich in Brüssel alle europäischen Atomaufseher, die in einem Verband namens ENSREG versammelt sind, mit Oettinger. „Obwohl schon alle Urteile gefällt sind, gibt es bisher keine Prüfkriterien“, sagte er fast trotzig am Dienstagabend im Europaparlament. Das Wenra-Papier sei der „Vorschlag eines Verbandes“, entstanden „ohne jede Mitwirkung der Kommission“. Er, Oettinger, halte ihn für „ungenügend“.

Sehr klar wiederholte er trotz des Gegenwindes aus einigen EU-Staaten diese Woche die Ansprüche der Kommission: „Wir wollen, dass alle Gefahren, die entstehen können, geprüft werden.“ Das beinhaltet demnach die von Menschen verursachten – ob nun aus Unvermögen, Unglück oder verbrecherischer Absicht. In dem mehrstufigen Prüfverfahren, dessen Ergebnisse veröffentlicht werden, sollen als letztes Glied auch Reaktorexperten anderer Länder die Meiler begutachten.

Bei der heutigen Sitzung ist Baden-Württembergs Ex-Landesvater bereit, dafür zu kämpfen. Mit seiner Glaubwürdigkeit, die auf dem Spiel steht, begründet er das nicht. Eher mit dem „Interesse der europäischen Bevölkerung“ und dem Ruf des EU-Parlaments nach nuklearer Sicherheit. Tatsächlich wünschte sich jüngst auch die politische Konkurrenz in Gestalt des SPD-Mannes Jo Leinen, Oettinger möge „Garant sein, dass das Ganze keine Alibiveranstaltung wird“.

Der Schwabe könnte das sein, weil er von den Regierungschefs Ende März das Mandat dafür bekommen hat. Der damalige EU-Gipfel erklärte, dass „die ENSREG und die Kommission dazu eingeladen sind, so schnell wie möglich die Bandbreite und Modalitäten dieser Tests zu entwickeln“. Oettingers Leute leiten daraus eine Art Vetorecht ihres Chefs ab. Außerdem hat der noch eine Keule, die er schwingen kann: Der Gipfel ermächtigte ihn ebenfalls, bis Ende 2011 Lücken in der EU-Atomsicherheitsrichtlinie zu schließen. Alle strengeren Prüfkriterien, denen die oft eng mit der Atomwirtschaft verbundenen Aufseher nicht von sich aus zustimmen, könnten ihnen als Gesetzesvorschlag wieder begegnen. Die Mitgliedstaaten müssten zwar zustimmen, aber nicht einstimmig. Auch das Parlament wäre im Gegensatz zu den Stresstests mit im Spiel.

Kann man sich trotzdem nicht einigen, droht der Kommissar unverhohlen mit der Rückgabe seines Mandats: „Ein Stresstest light wird meine Unterschrift nicht tragen.“ Christoph Ziedler

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