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Hal Varian: Der Google-Ökonom

Seit zwei Jahren ist Hal Varian Chefvolkswirt des Internetkonzerns. Er weiß, wie man Daten zu Geld macht.

Berlin - In die Zukunft kann Hal Varian nicht schauen. Aber wofür sich die Welt in diesem Moment interessiert, sieht der Ökonom sofort. Wenn irgendwo Menschen an der Schweinegrippe erkranken, wenn sie arbeitslos werden oder ein Auto kaufen wollen, dann suchen sie im Internet nach der besten Therapie, nach einem neuen Job oder nach den höchsten Rabatten. Und fast alle suchen über Google. Der Internetkonzern verfügt über einen unermesslichen Schatz – gigantische Datenmengen. Google weiß, wer sich wo und wann für welches Thema interessiert. Und Hal Varian soll Google dabei helfen, diesen Schatz zu Geld zu machen.

Seit 2007 ist Varian, der zuvor an der Universität von Kalifornien in Berkeley lehrte, Chefvolkswirt des Internetkonzerns. Google-Chef Eric Schmidt hatte ihn bereits 2002 als Berater angeworben. „Mit den Jahren ist der Zeitaufwand immer mehr gestiegen“, sagt Varian. Darum wechselte er vor zwei Jahren ganz zu Google, wo er ein Team von 35 Leuten führt. In dieser Woche war Varian Gast der American Academy in Berlin. Bei der Vorstellung durch FU-Professor Irwin Collier erklärt dieser Varians Wechsel zu Google so: Als Professor einer Elite-Uni habe er einen Ausflug in die reale Welt machen wollen, dann habe Schmidt ihn überredet, stattdessen lieber zu Google zu gehen. Will heißen: Auch Google ist eine eigene Welt mit einer eigenen Ökonomie. 1998 von zwei Studenten gegründet, hatte das Unternehmen 2002 bereits 400 Mitarbeiter, heute sind es 20 000 und Google gehört zu den mächtigsten Spielern im weltweiten Datennetz.

Studenten ist Varian ein Begriff, weil er mit „Grundzüge der Mikroökonomik“ eines der wichtigsten Lehrbücher für Volkswirte geschrieben hat und 1997 mit „Information Rules“ einen Bestseller darüber, wie die Internetwirtschaft funktioniert. Aber warum braucht das Unternehmen einen Chefvolkswirt? Varian löste für Google zunächst ein zentrales Problem, nämlich die Frage, was eine der bis zu elf bezahlten Anzeigen auf den Google-Ergebnisseiten wert ist. Dazu hat Varian, der auch Mathematiker ist, ein Auktionsmodell entwickelt.

Darüber hinaus beschäftigt sich Varians Team mit Geschäftsprognosen, Unternehmensstrategie und der Erforschung des Verhaltens von Werbetreibenden und Konsumenten. Von der Werbung auf seinen Seiten lebt das Unternehmen. 21 Milliarden Dollar setzte Google 2008 mit Werbung um, dabei kostet jeder Klick auf eine Anzeige die Werbetreibenden nur ein paar Cent. Die Suche wie auch alle anderen Produkte bietet Google dem breiten Publikum kostenlos an – damit immer mehr Nutzer Google-Seiten anklicken. „Wann immer jemand eine Frage hat, soll er an Google denken“, erklärt Varian die Google-Ökonomie. „Mit der Werbung und Gebühren für Anwendungen verdienen wir dann Geld. Wenn die Infrastruktur erst einmal aufgebaut ist, ist es nicht teuer, noch andere Dienste anzubieten.“

60 Prozent der Internetbesucher in den USA nutzen Google, in Deutschland sind es sogar 80 Prozent. Mit jeder Suchanfrage sammelt Google wertvolle Informationen. So arbeiteten die mexikanischen Behörden mit Google zusammen, um mehr über die Ausbreitung der Schweinegrippe zu erfahren. „Jetzt stehen wir auch mit den Verantwortlichen in Australien und Neuseeland in Verbindung“, sagt Varian. Google Trends und Insights for Search sind frei verfügbare Werkzeuge, mit denen man herausfinden kann, welche Begriffe in welcher Region am häufigsten gegoogelt werden. Allerdings, so verrät Varian, habe Google noch weit umfangreichere Analysewerkzeuge, die nicht frei verfügbar sind. Er sei bereits in Washington gewesen, um dort mit Regierungsvertretern zu sprechen, wie die Produkte weiterentwickelt werden können – etwa für ökonomische Prognosen. Mehr will er nicht verraten. Dass das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin Google-Daten zur Prognose der Arbeitslosenzahlen nutzt, finde er „sehr interessant“.

Vielen Menschen ist die Datensammelwut von Google längst unheimlich geworden. Denn Google speichert die Daten – nach eigenen Angaben, um den Service zu verbessern. Mit jedem neuen Dienst, den ein Anwender nutzt, nimmt die Datenfülle zu und das Bild, dass sich Google von seinen Anwendern machen kann, wird immer umfassender. Mit Google kann man suchen, mailen oder sich über Google-Maps orientieren. Und da es Google auch fürs Handy gibt, kann man Google überall mit hinnehmen. Zwar gibt das Unternehmen an, die Daten anonym zu speichern. Doch das Unbehagen wächst bei vielen Menschen.

„Die Herausforderung ist ziemlich klar“, gibt der 62-jährige Ökonom zu. „Je genauer wir wissen, was die Leute wollen, desto effizienter arbeiten wir und desto besser sind unsere Ergebnisse.“ Das alles könne aber nur funktionieren, wenn die Nutzer Vertrauen zu Google haben. „Sie müssen überzeugt sein, dass die Performance die Risiken überwiegt.“ Eine Grundlage für das Vertrauen müsse Transparenz sein. Und er verweist auf Googles Mission: alle Informationen auf dieser Welt zu organisieren und jedem zugänglich und nutzbar zu machen.

Im Übrigen, sagt Varian, sei die Konkurrenz nur einen Klick entfernt. Wie die neue Suchmaschine Bing etwa vom Softwarekonzern Microsoft mit seinem Chef Steve Ballmer. „Bing“, fragt Varian, stehe das für „because it’s not Google“ oder für „Ballmer is not Google“. Etwas ernster fügt er hinzu: „Wir beobachten das natürlich. Microsoft hat es sehr geschickt angestellt, sich auf die Themen Reise, Shopping und Gesundheit zu konzentrieren.“ Auch sei die Startseite ansprechend gestaltet. Bing zeigt immerhin ein Foto, während bei Google nur gelegentlich der Schriftzug umgestaltet wird, ansonsten ist die Seite sehr spartanisch. Über eine Neugestaltung müsse man nachdenken, sagt Varian. Doch nervös macht ihn die Herausforderung nicht. „Jedes Unternehmen hat immer mehrere Projekte in verschiedenen Entwicklungsstadien in der Pipeline. Es könnte sein, dass wir das eine oder andere Produkt beschleunigen.“

Auf die Frage, was ihn bei Google am meisten überrascht habe, sagt der Ökonom: „Ich hätte nie gedacht, dass diese Idee so erfolgreich sein würde. Am Anfang sah es so aus, als ob das Internet vor allem für Wissenschaftler interessant sei. Heute ist es zu einem weit verbreiteten sozialen Phänomen geworden.“

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