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Wirtschaft: Hamsterkäufe setzen Kassen unter Druck

Die Ausgaben für Medikamente sind im Dezember explodiert – das gefährdet die Beitragssenkungen

Berlin (hej/pet). Die von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) angestrebte Beitragssatzsenkung der Krankenkassen wird nach Meinung von Kassen und Ärztevertretern immer unwahrscheinlicher. Die Haushalte der Kassen werden durch drastisch gestiegene Medikamentenausgaben im Dezember belastet. Nach Angaben des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen (BKK) beträgt der Anstieg im Einzelfall bis zu 40 Prozent, im Durchschnitt liegt der Zuwachs im Vergleich zum Dezember 2002 bei 30 Prozent. Auch die neuen Ausnahmen für Chroniker bei der Gesundheitsreform gefährden die Beitragssenkung.

Nach Angaben des Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Manfred Richter-Reichhelm, sind die Medikamentenausgaben im Dezember bundesweit sogar um 41,1 Prozent im Vergleich zum Dezember 2002 gestiegen. Der KBV-Chef sagte, diese Zahl habe ihm Bundesgesundheitsministerin Schmidt genannt. Grund dafür sei, dass viele Patienten kurz vor der Gesundheitsreform Medikamente auf Vorrat gekauft hätten. Das Bundesgesundheitsministerium bestätigte diese Zahl am Freitag nicht, sondern geht offiziell von einem Kostenanstieg im Dezember um rund 30 Prozent aus.

In jedem Fall dürften die deutlich gestiegenen Ausgaben für Medikamente das Defizit weiter erhöhen. Bislang haben Gesundheitsexperten für das vergangene Jahr ein Gesamtdefizit in der gesetzlichen Krankenversicherung von rund drei Milliarden Euro prognostiziert. Jetzt meldet die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände aber, dass die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenkassen im Dezember um 616 Millionen Euro höher waren als im Monatsdurchschnitt 2003.

Auch die Hoffnung, dass im neuen Jahr eine deutliche Entlastung eintritt, hat sich nicht bewahrheitet. Nach vorläufigen Berechnungen des BKK-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen beträgt der Rückgang der Arzneimittelkosten im Januar nur 20 Prozent. Das reicht nicht. „Mit solch enormen Vorzieheffekten Ende 2003 und den geringen Ausgabenrückgängen zu Beginn des Jahres 2004 ist es schwer, derzeit über Beitragssenkungen zu sprechen“, sagte BKK-NRW-Chef Jörg Hoffmann.

Auch die Angestellten-Krankenkassen glauben nicht mehr an die Beitragssenkungen. Da die Zuzahlungen für chronisch Kranke hinter den ursprünglichen Plänen zurückbleiben, sparen die Kassen weniger ein als erwartet, sagt Andreas Kniesche vom Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK). Damit sei die Forderung der Ministerin, das Beitragsniveau auf 13,6 Prozent zu senken, „zum Teil der Grundlage beraubt“. „Die Ausnahmen werden dazu führen, dass die Einsparungen deutlich geringer ausfallen“, erwartet auch Udo Barske, Sprecher des AOK-Bundesverbandes. Nach ersten Schätzungen des BKK-Bundesverbandes belaufen sich die Mindereinnahmen für 2004 durch die Ausnahmen auf 500 Millionen Euro.

Gesundheitsexperten befürchten außerdem, dass Patienten die neuen Zuzahlungsregeln unterlaufen. Seit Jahresanfang erstatten die Kassen grundsätzlich nur noch die Kosten für verschreibungspflichtige Medikamente. Ausnahmen gibt es für Kinder bis zum zwölften Lebensjahr, Jugendliche mit Entwicklungsstörungen und Schwerkranke. Experten befürchten, dass zuzahlungspflichtige Patienten sich lieber ein stärkeres, verschreibungspflichtiges Medikament verschreiben lassen, statt ein rezeptfreies Präparat auf eigene Rechnung zu kaufen. „Das Problem besteht“, sagte Thomas Isenberg vom Bundesverband der Verbraucherzentralen. KBV-Chef Richter-Reichhelm warnt vor den Folgen für die Kassenhaushalte: „Wenn Ärzte auf teurere, verschreibungspflichtige Präparate umsteigen, dann wird die von Bundesgesundheitsministerin Schmidt erwünschte Beitragssatzsenkung nicht erreicht“, sagt Richter-Reichhelm.

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