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Geflochtene Tradition. Wer einen Osterkorb bei Fred Jacob bestellt, muss tief in die Tasche greifen. Der Berliner Handwerksmeister lebt vor allem von Sonderanfertigungen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Handwerk: Jacobs Erben

Es gibt nur noch wenige Korbmacher in Berlin. Drei sind aus einer Familie: Sie sind Handwerker, Künstler – und Realisten.

Von Carla Neuhaus

Fred Jacob erfindet seinen Beruf jeden Tag neu. So auch an diesem grauen Nachmittag Ende März. In Jeans und Turnschuhen kniet der Korbmacher auf dem Boden seiner Ladenwerkstatt in Prenzlauer Berg. Vor ihm thront das Gerüst eines Rattansessels, giftgrün angemalt. Der 53-Jährige hat den Sessel nach der Skizze einer Berliner Möbeldesignerin gebaut. Nach Ostern will die Designerin das Stück bei der Mailänder Möbelmesse ausstellen. Statt eines klassischen Rattangeflechts sollen grüne Kugeln aus Kork den Sessel ummanteln. Jacob zieht die Kugeln auf Fäden und testet, wie er sie zusammenflechten muss, damit ein gradliniges Muster entsteht. Es sind Aufträge wie dieser, die ihm Spaß machen, ihn antreiben. „Ich finde es spannend, Dinge zu machen, die noch keiner vor mir gemacht hat“, sagt Jacob, der Erfinder.

„Korbmacher“ steht auf dem Schild in seinem Schaufenster. Doch mit dem traditionellen Beruf hat seine Arbeit nur noch wenig zu tun. Körbe, wie sie sein Vater und Großvater aus Weidenholz gefertigt haben, macht Jacob heute nur noch selten. „Diese Woche war eine Frau da, die wollte einen Osterkorb haben“, erzählt er. Den habe sie dann auch bekommen – aber das sei die Ausnahme. Nicht weil Jacob sich dafür zu schade ist. Sondern weil sich die Arbeit nicht rechnet. „Für einen einfachen Einkaufskorb müsste ich mindestens 100 Euro verlangen“, sagt er. „Im Großhandel bekommen Sie den für 20.“ Die Billigware komme aus dem Ausland: Polen, China, Indonesien. Dort werden die Körbe zu Preisen produziert, mit denen der Berliner nicht mithalten kann. Deshalb flicht er wie die meisten verbliebenen Handwerker seiner Zunft kaum noch Körbe.

Stattdessen macht er Sonderanfertigungen wie den Sessel für die Möbelmesse. Weil er davon allein aber nicht leben kann, nimmt er alte Stühle mit Rattan- oder Weidengeflecht in Reparatur. So wie den dunklen Holzstuhl, dem die Sitzfläche fehlt und der noch vor Ostern fertig werden soll. Mit schnellen Handbewegungen webt Jacob helle Rattanfäden ineinander, bis ein feines, fünfeckiges Muster entsteht. Dann steckt er sie im Holzrahmen fest.

Sein Meisterwerk ist eine deckenhohe Rattan-Skulptur.

Fragt man ihn, warum er sich für diesen Beruf entschieden hat, antwortet er ohne zu zögern: „wegen der Familie“. Die Geschichte seiner Familie ist eng verwoben mit der der Korbmacherei in Berlin. Von den sieben Korbmacher-Betrieben, die heute noch bei der Handwerkskammer gelistet sind, gehören drei der Familie Jacob. Fred Jacobs Bruder Werner betreibt einen kleinen Laden in Mitte, der Neffe Thilo eine Werkstatt in Pankow.

Die Geschichte beginnt 1918, als Karl Jacob – Freds Großvater – eine Korbmacherei in der Singerstraße in Friedrichshain gründet. Damals ist das noch ein begehrter Beruf. Allein in Berlin gibt es zu dieser Zeit mehr als 300 Korbmacher-Betriebe. Karls Sohn Arthur führt die Werkstatt weiter und auch dessen drei Söhne Werner, Wolfgang und Fred werden Korbmacher. Dabei war das nicht im Sinn des Vaters. „Mein Vater wollte mich nicht ausbilden“, erzählt Fred Jacob. „Er meinte, ich sollte lieber was Vernünftiges lernen.“ Er beugt sich dem Willen des Älteren und wird Elektroniker. „Doch das war jeden Tag das Gleiche.“ Irgendwann habe es ihm gereicht. Bei seinem Bruder in der Werkstatt lernte er dann das Handwerk des Korbmachens.

Damals, in den 1980er Jahren, kann man im Osten der Stadt vom Korbhandwerk noch gut leben. Fred Jacob macht sich selbstständig, hat sechs Angestellte. Sie produzieren so viel sie können: Einkaufskörbe, Wäschekörbe, Tabletts, selbst Übertöpfe – alles aus Weide oder Rattan. „Zwei Mal die Woche haben wir den Laden aufgemacht und innerhalb einer halben Stunde war alles, was wir bis dahin hergestellt hatten, verkauft“, erzählt Jacob. Mit dem Mauerfall wandelt sich das schlagartig. Seine Körbe werden zum Luxusgut. Und aus dem Handwerker Jacob wird der Erfinder und Künstler Jacob.

Sein Meisterwerk ist eine deckenhohe Rattan-Skulptur. „Mit der habe ich den Landespreis für gestaltendes Handwerk gewonnen“, sagt Jacob stolz. Sechs Wochen hat er an dem großen Rattanwerk gearbeitet, das die Form eines fülligen Frauenkörpers hat. Eigentlich wollte Jacob einen überdimensionalen Blumenkelch flechten. Doch als er Pause machte und mit seiner Kaffeetasse am Fenster stand, sei eine Frau vorbeigelaufen. „So eine richtige Mutti“, sagt Jacob und formt mit den Händen die kräftige Figur nach. Sie war seine Inspiration.

Ob er das Handwerk vererbt? „Meine Tochter habe ich drei Jahre lang ausgebildet“, sagt er. Doch ob sie das Geschäft einmal übernimmt, weiß er nicht. Sie arbeitet als Kassiererin bei einem Discounter. „Da verdient sie mehr als bei mir“, sagt Jacob. Und der Erfinder, Handwerker und Künstler Jacob ist auf einmal ganz Realist.

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