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Hartmut Mehdorn: Was noch kommt

In der Daten-Affäre könnte Bahnchef Hartmut Mehdorn endgültig zu viele Fehler gemacht haben.

Berlin - Der „Fliegende Hamburger“ galt in den dreißiger Jahren als das Nonplusultra der Eisenbahn. Schick und pfeilschnell war der Zug, der zwischen Berlin und Hamburg pendelte. Erst 64 Jahre später war ein ICE auf dieser Strecke wieder genauso schnell wie der Wunderzug.

Für Hartmut Mehdorn war der „Fliegende Hamburger“ am vergangenen Freitag alles andere als das Nonplusultra. Der kleine Saal im 21. Stock der Bahn-Zentrale am Potsdamer Platz ist nach dem legendären Zug benannt – und dort verliest Mehdorn das bislang brisanteste Statement seiner Amtszeit. Nein, er werde nicht zurücktreten, sagte er bestimmt. Die Überprüfung von E-Mails sei „rechtlich zulässig“ gewesen, die Inhalte habe man nicht überwacht. Man habe „Geheimnisverrat, der eine Form der Wirtschaftskriminalität darstellt“, bekämpfen wollen und habe sich nicht strafbar gemacht.

Ob er seinen Job behalten wird, ist zweifelhaft. Am frühen Freitagmorgen hatte Mehdorn erfahren, was die Ermittler dem Aufsichtsrat am Mittag vorlegen würden. Bei den Politikern in Berlin haben nun die Beratungen darüber begonnen, ob Mehdorn damit durchkommt. Dass die Bahn jahrelang E-Mails von bis zu 80 000 Beschäftigten daraufhin durchforstet hat, ob sie an Journalisten oder Bahn-Kritiker gerichtet waren, bringt vor allem die Gewerkschaften auf. Automatisch sollen die Nachrichten an eine interne Stelle weitergeleitet worden sein, wenn sie an bestimmte Adressen gerichtet waren.

Die Forderung aller drei Bahn-Gewerkschaften nach Mehdorns Rücktritt, der sich am Samstag auch Politiker von SPD und Grünen anschlossen, macht es unwahrscheinlich, dass sich der seit 1999 amtierende Manager noch lange halten kann. Zudem scheint auch sein Rückhalt im Kanzleramt zu schwinden. Sollten sich die Arbeitnehmer gegen Mehdorn wenden, „kann das Kanzleramt nichts mehr machen“, schwante einem führenden Unionsmann bereits vor Wochen. Die Gewerkschaften verfügen über die Hälfte der Sitze im Aufsichtsrat. Zusammen mit den SPD-Staatssekretären aus dem Finanz- und Verkehrsministerium könnten sie einen Sturz herbeiführen.

Schon oft hatte der Bahn-Chef darüber geklagt, dass Geheimes über die Bahn in der Presse auftauchen würde. In einem Brief vom April 2005 an die Mitarbeiter hatte er deutlich gemacht, dass es für Verräter „kein Pardon“ gebe. Damals hatte gerade eine Führungskraft ihren Job verloren, weil sie bei der Weitergabe von Informationen erwischt worden war. Man werde „schrittweise unsere Lecks einkreisen“, hatte Mehdorn damals gedroht. Die Bahn werde „dem Verrat von Firmengeheimnissen ebenso energisch ... begegnen wie der Korruption – und zwar mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln“.

Schwierig für Mehdorn könnte zudem werden, dass die Aktionen der Bahn seit Beginn der Datenaffäre vor zwei Monaten immer nur scheibchenweise ans Licht gekommen sind. Erst hatte sie eingeräumt, rund 1000 Mitarbeiter ohne deren Wissen überprüft zu haben, dann waren es 173 000, dann kam heraus, dass es insgesamt fünf solcher Überprüfungen zwischen 1998 und 2007 gegeben hatte. Zudem hatte der Staatskonzern eingeräumt, externe Detekteien mit Ermittlungen beauftragt zu haben – dabei seien womöglich Gesetze verletzt worden, hieß es.

Womöglich kommen weitere Vorwürfe ans Licht. Die vom Aufsichtsrat beauftragten Ermittler haben nach eigenen Angaben erst rund die Hälfte der nötigen Interviews mit Bahn-Beschäftigten geführt und müssen ebenso viele Akten noch studieren. Derzeit ermittelt außerdem die Staatsanwaltschaft Berlin nach mehreren Anzeigen gegen den Bahn-Vorstand. Die guten Konzernzahlen für 2008, die Mehdorn am Montag vorlegen wird, werden ihn wohl nicht retten: Nach Steuern und Zinsen hat die Bahn 1,74 Milliarden Euro verdient.

Mehdorns Zukunft hängt auch von den Machtverhältnissen in der Regierungskoalition ab. Die SPD, vor allem Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee, waren zuletzt von dem Bahn-Chef abgerückt und hatten seine Aufklärungsarbeit kritisiert. Auch im Kanzleramt scheint sein Rückhalt zu schwinden. Die Union hatte lange unterstützt. Denn: Die SPD strebt an, ihn noch vor der Bundestagswahl abzulösen, damit sie bei der Suche nach einem Nachfolger ein gewichtiges Wort mitreden kann. CDU und CSU spekulieren darauf, nach der Wahl ohne Rücksicht auf die Sozialdemokraten einen Manager an die Spitze der wichtigen Bahn hieven zu können.

Ein zwingender Kandidat für die Nachfolge des 66-Jährigen ist freilich nicht in Sicht. Mehdorn hinterlässt nach zehn Jahren Sanierung des Ex-Monopolisten große Fußstapfen. Die Gewerkschaften verlangten am Freitag, es dürfe „keine Übergangslösung“ geben. Das Gegenteil schlägt FDP-Verkehrsexperte Horst Friedrich vor. Es solle bis Jahresende eine „tragfähige Interimslösung“ geben „und dann klare Weichenstellungen durch eine neue Bundesregierung“. Ein solches Modell würde für einen Manager aus der Bahn sprechen. Finanzchef Diethelm Sack (61) gilt vielen als heimlicher Chef der Bahn – ist aber als Mehdorn-Intimus zu eng mit der Affäre verstrickt. In Frage käme deshalb eher Norbert Bensel (62), der das weltweite Gütertransportgeschäft leitet.

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