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Wirtschaft: Hartmut Zamaitis

(Geb. 1941)||Wenn ihm mal der Kragen platzte, sagte er: „Jetzt ist aber mal gut.“

Wenn ihm mal der Kragen platzte, sagte er: „Jetzt ist aber mal gut.“ Blond und klein und eher schmächtig war Hartmut, das vierte Kind. Aber er kümmerte sich wie ein Großer um die Familie. Schon in Steuden in Sachsen-Anhalt, wohin die Familie im Krieg geflüchtet war, pflanzte Hartmut Kohl und Mohrrüben, damit für die drei älteren und die drei jüngeren Geschwister genug zu essen da war. Die Schmalzstullen, die er beim Bauern als Lohn bekam, teilte er unter allen auf, und wenn der Mutter das Geld ausging, knackte er sein Sparschwein.

Ein Fahrrad wollte er für sich selbst. Darauf sparte er lange Zeit und war damit dann der Liebling der Geschwister und der Täve Schur des Dorfes. Als die Eltern die Flucht nach Westberlin planten, war Hartmut nur einverstanden, wenn das Fahrrad mitkam. „Du bekommst dort ganz schnell ein neues“, versprach der Vater, doch Hartmut glaubte ihm nicht: Wo sollte das denn herkommen, so viel Zeit und Arbeit, wie er in seins gesteckt hatte. Er bestand darauf: Ich fahre hinterher. Die Grenzpolizei griff den Vierzehnjährigen auf. Jetzt waren die Eltern und auch das Fahrrad weg.

Man brachte Hartmut ins Kinderheim. Das erste Mal haute er vom Ernteeinsatz auf dem Kartoffelacker ab, das nächste Mal lief er im Dunkeln fort. Nach drei Nächten stand er in Berlin, am S-Bahnhof Friedrichstraße, schmutzig, hungrig, ohne Geld. Der Polizist, dem er verzweifelt seine Geschichte erzählte, hatte Mitleid und ließ ihn durch. Im Auffanglager schloss die Familie einen veränderten Hartmut in die Arme. Das Kindliche in seinem Gesicht war Bartstoppeln gewichen, er weinte und wollte ganz viel essen.

Bald fuhr Hartmut wieder Fahrrad. Diesmal im großen Stil bei Pfeil Charlottenburg. 1958 gehörte er zu den sechs Jugendbesten von West-Berlin.

Als Hartmut mit der Ausbildung zum Schmied begann, wurde aus dem schmalen Jungen ein kräftiger Mann. Die Radkarriere gab er auf. Dafür verdiente er bei der Akkordarbeit als Hammerführer so viel, dass er sich zum 18. Geburtstag ein Auto kaufen konnte. Nachdem der Vater vom Lkw überfahren worden war, ernährte er nun auch die Familie mit.

Mit zwanzig lernte er in der Tanzstunde Monika kennen. Der erste gemeinsame Tanz war ein Chachacha, den ersten Kuss gab’s im Auto vor dem Haus. Wieso die Wahl des pragmatischen Hartmuts auf sie fiel, konnte sich Monika, die sich gern aufdonnerte, nicht erklären. Außerdem hat sie sich manchmal gedacht: „So’n bisschen langweilig ist er ja.“ Aber bei niemandem fühlte sie sich so liebevoll umsorgt wie bei Hartmut.

Was Hartmut manchmal nervte, war, dass Monika auf Reisen immer in schicke Läden rannte. Er selber kaufte Schuhe, wenn die alten ganz kaputt waren. Dass Monika so viel Geld für Kleidung ausgab, konnte er gerade noch ertragen. Dass er aber in Paris bei Chanel sitzen und Sekt trinken musste, das passte ihm gar nicht. Wenn ihm mal der Kragen platzte, sagte er: „Jetzt ist aber mal gut.“ Und weil er das nicht oft sagte, war dann auch gut.

Er arbeitete in einer Autofederwerkstatt in Reinickendorf, als der „Chef mit der Zigarre“ war er dort eine Institution. Die freie Zeit verbrachte er am liebsten mit Monika und den Freunden im Garten. Nach 45 Arbeitsjahren ging er in Rente; 45 Jahre, das bedeutete volle Pension. Die Welt wartete, das Leben konnte losgehen. Konnte ja niemand damit rechnen, dass der Krebs dazwischenkam. Hartmut war nur einmal erkältet gewesen, das war noch vor der Hochzeit. Statt in die weite Welt fuhr er nun zur Reha.

Er wollte wie immer mithelfen beim Abwasch, beim Einkauf, sich um Freunde und Familie kümmern. Dass er das nicht mehr so einfach konnte, damit kam er nicht zurecht. Eines Abends sagte er zu Monika: „Ich will nicht mehr.“ – „Noch nicht!“, flehte sie. Doch er hatte schon entschieden. Kurz nachdem die jüngste Schwester wieder nach Hause gefahren war, stand er noch einmal auf, ging in die Küche und umarmte Monika.

Von dem kräftigen Schmied war nicht viel übrig geblieben. Ganz schmal war er geworden. „Er sah jung aus“, sagt die Schwester, „wieder wie ein kleiner Junge.“

Veronika de Haas

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