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Haushalt: Kein Grund zum Jubeln

Das Staatsdefizit in Deutschland ist im ersten Halbjahr deutlich geschrumpft. Doch Entwarnung kann nicht gegeben werden: Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherung stehen noch immer mit 39 Milliarden Euro in der Kreide.

Berlin (23.08.2005, 16:32 Uhr) - Erst das Lob aus dem Ausland für den Wirtschaftsstandort Deutschland, dann positive Nachrichten zur anziehenden Binnenkonjunktur und nun ein geringeres Staatsdefizit als vor einem Jahr. Fast könnte man meinen, Rot-Grün bekommt in der heißen Wahlkampfphase von der Konjunktur- und Statistikfront noch einmal Rückenwind. Das gegenüber dem Vorjahr um etwa vier Milliarden Euro niedriger ausgefallene Defizit in den Staatskassen ist allerdings kaum ein Grund zum Jubeln. Denn auch in den ersten sechs Monaten fehlten Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialkassen etwa 39 Milliarden Euro. Und aus Brüssel mehren sich Signale, dass Berlin schon im Herbst ein schärferes Defizitverfahren drohen könnte.

Seit längerem steht fest, dass Deutschland auch 2005 und damit das vierte Mal in Folge gegen den Euro-Stabilitätspakt verstößt. Der erlaubt einen Anteil neuer Schulden am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von maximal 3,0 Prozent. Zuletzt war Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) für dieses Jahr von einem Staatsdefizit von 3,7 Prozent ausgegangen, nachdem er zusätzliche Etatrisiken von 12 Milliarden Euro auch auf Grund der Arbeitsmarktkosten eingeräumt hatte. Die Union geht für 2005 sogar von bis zu vier Prozent aus. Auch für das kommende Jahr wird keine Entwarnung gegeben - weder von Eichel oder Ökonomen noch von der Union, die für den Fall eines Wahlsieges keine rasche Sanierung der Staatsfinanzen in Aussicht gestellt hat.

Ob es bei der für das erste Halbjahr gemeldeten Defizitquote von 3,6 Prozent bleibt, ist offen. Sechs-Monats-Zahlen können nicht auf das Gesamtjahr hoch gerechnet werden. Bis zum Sommer jedenfalls profitierten Bund, Länder und Gemeinden von höheren Steuereinnahmen. Diese lagen bis Ende Juli um knapp 600 Millionen Euro über der Prognose der letzten Steuerschätzung. Der Trend könnte sich fortsetzen. Gilt unter Experten doch als ausgemacht, dass die Wirtschaft die Frühjahrsschwäche überwunden hat und wieder auf Wachstumskurs ist. Zuletzt meinte auch das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), dass vielleicht «der Funke von der Exportwirtschaft auf die Binnenwirtschaft überspringt».

Das Halbjahresdefizit dürfte aber auch dank der Milliarden- Rückzahlungen der Landesbanken an die Länder besser ausgefallen sein als vor einem Jahr. Die öffentlich-rechtlichen Institute mussten auf Druck der EU illegale Staatsbeihilfen zurückzahlen. Zwar wurde den Geldhäusern anschließend wieder Kapital zugeführt, die Transfers konnten aber Defizit mindernd verbucht werden. Die massiven Privatisierungserlöse des Bundes dagegen - von den für 2005 geplanten 21,5 Milliarden Euro waren per Juli knapp 12 Milliarden realisiert - müssen bei der Defizitberechnung unberücksichtigt bleiben.

Egal, ob die Schuldenquote am Ende um einige Zehntel-Prozentpunkte niedriger oder höher ausfällt - in den Haushalten von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialkassen könnte 2005 am Ende eine Lücke zwischen 79 oder 84 Milliarden Euro klaffen. Allein die Gesamt-Verschuldung des Bundes ist Ende Juni auf inzwischen 873 Milliarden Euro angewachsen. EU-Währungskommissar Joaquín Almunia hat schon angedeutet, dass Brüssel das Defizitverfahren verschärfen könnte. Er wolle zwar im September Eichels neue Zahlen abwarten. Er habe aber den Eindruck, so Almunia Mitte Juli, dass Deutschland zu wenig getan habe.

Eichel macht dafür die Union verantwortlich, die Union den Finanzminister. Höhepunkt der Schuldzuweisungen ist traditionell die «Haushaltswoche» des Bundestages Anfang September. Diese fällt aus, da das Kabinett keinen Etatentwurf eingebracht hat. Für den einzigen Sitzungstag vor der Wahl, den 7. September, ist das Thema noch offen. (Von André Stahl, dpa)

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