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Gift im Depot. Wie bei Medikamenten sollen künftig Beipackzettel die Kunden über Risiken von Finanzprodukten aufklären. Foto: ddp

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Wirtschaft: Heilloses Chaos

Die Beipackzettel für Finanzprodukte stiften mehr Verwirrung als Aufklärung

Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage. Ab dem 1. Juli gilt das auch für Finanzprodukte. Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner hofft, die Anleger mithilfe von Beipackzetteln „besser vor Falschberatungen und Vermögensverlusten“ schützen zu können. Der Grund dafür: Im Zuge der Finanzkrise haben tausende Kunden Produkte gekauft, die sie nicht verstanden hatten – und damit Totalverluste erlitten.

Kurz, verständlich und klar sollen die Beipackzettel nach dem Wunsch des Gesetzgebers sein. Die Bezeichnungen für die Blätter selbst sind allerdings verwirrend: Für Aktien, Anleihen, Zertifikate, Optionsscheine, Futures, Genussscheine oder andere Finanzmarktprodukte gibt es künftig das Produktinformationsblatt (PIB). Über Fonds informiert ein Key Investor Document (KID). Ab 2012 folgen die Vermögensanlagen-Informationsblätter (VIB) für den grauen Kapitalmarkt, also etwa für geschlossene Fonds.

Das Produktinformationsblatt soll die Anleger über die wichtigsten Kennziffern und Daten eines Finanzprodukts informieren. Es muss das Anlageprodukt nennen, dessen Funktionsweise erklären und auf die Risiken hinweisen. Ferner muss das PIB dem Anleger deutlich machen, wie sich Marktschwankungen auf die Kapitalrückzahlung und die Erträge auswirken können, wann er in welchem Umfang über sein Geld wieder verfügen kann und welche Kosten das Produkt verursacht. Dabei sollen sich die Anbieter auf zwei DIN-A-4-Seiten beschränken, bei komplizierten Finanzinstrumenten dürfen es maximal drei Seiten sein. Herausgegeben wird das PIB nicht von den Emittenten der Produkte selbst, sondern von den Verkäufern, also etwa den Banken. Es muss nur im Rahmen einer Beratung oder Kaufempfehlung überreicht werden.

Zwar hat sich der Zentrale Kreditausschuss, dem unter anderem die Sparkassen, die Landesbanken, die privaten Banken und die Volks- und Raiffeisenbanken angehören, auf einen gemeinsamen PIB-Standard geeinigt. Doch jenseits der groben inhaltlichen Kernpunkte bleibt viel Raum für individuelle Ausschmückungen und Formulierungen.

Anders ist es beim KID. Bei den Informationsblättern für Fonds seien „Umfang, Anordnung und Berechnungsmethodik zwingend vorgeschrieben“, erklärt Panagiotis Siskos, Sprecher des Bundesverbandes Investment und Asset Management (BVI). Das KID enthalte konkrete Angaben zu Anlagepolitik und Anlageziel, eine siebenstufige Risiko-Einteilung, Informationen zu bisherigen Erträgen und zur früheren Wertentwicklung wie auch zu den Kosten. Der Grund: Anders als bei allen anderen Finanzmarktprodukten greift hier eine europäische Richtlinie, die bis spätestens 2012 überall in der EU umgesetzt sein muss. 

Allerdings: Zu den Provisionen, die der Verkäufer vom Herausgeber des Fonds bekommt, erhält der Investor, anders als beim PIB, keine Informationen. Deutsche Anleger müssen aber dennoch im Rahmen des Beratungsgesprächs über diese Zahlungen informiert werden.

Wollen ausländische Fondsgesellschaften ihre Produkte auf dem deutschen Markt verkaufen, müssen sie ihre KID auch auf Deutsch veröffentlichen. Anders ist das beim PIB: „Klare gesetzliche und konkrete Standards fehlen hier“, kritisiert Ulf Niklas, Sprecher der Bundesinitiative der Honorarberater und Geschäftsführer der Niklas Honorarberatung in Berlin. Es sei zu befürchten, so Niklas, dass die Risiken mancher Produkte vielfach „schöner dargestellt“ würden und die Aussagekraft für den Kunden damit „sehr begrenzt“ bleibe. Insgesamt seien die Beipackzettel zwar sinnvoll und für den Kunden hilfreich, doch blieben sie „zahnlose Tiger“ auf dem Weg zu mehr Transparenz und Vergleichbarkeit. Niklas’ Fazit: „Eine Fehlberatung wird damit auf jeden Fall nicht verhindert.“ Auch die Kosten würden steigen, warnt der Honorarberater. Denn natürlich werde „der hohe bürokratische Aufwand“ letztlich auf die Kunden abgewälzt.

In ein ähnliches Horn stoßen auch die Verbraucherschützer: Es sei zwar grundsätzlich gut, dem Kunden vereinfachte Produktinformationen an die Hand zu geben, glaubt Dorothea Mohn vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV). Doch bleibe der Gesetzesvorstoß zum Schutz der Anleger auf halbem Weg stecken, kritisiert die Finanzexpertin. So helfe es dem Anleger wenig, wenn er das PIB nur in einem Beratungsgespräch erhalte. Sinnvoller wäre es, glaubt Mohn, die PIB zu allen Produkten grundsätzlich zu veröffentlichen und ins Internet zu stellen, damit die Verbraucher sich bereits vorab über Produkte informieren könnten. Wer beispielsweise ein Zertifikat über das Internet kauft, muss auf das PIB verzichten oder aber auf die freiwillige Bereitstellung der Information durch seine Direktbank hoffen. Unter anderem stellen die Ing-Diba und Cortal Consors alle Dokumente beim Kauf online zur Verfügung, die Comdirect nur bei vorheriger Beratung. KID hingegen werden von allen bereitgestellt.

Auch die mangelnde Standardisierung ist den Verbraucherschützern ein Dorn im Auge, da sie die Vergleiche unterschiedlicher Anbieter erschwere. Dass bei den PIB, anders als bei den Fonds-KIDs, keine einheitliche Risikoberechnung vorgeschrieben werde, sei ein Unding. Mohn: „Da wird jeder Anbieter nach seiner eigenen Methode rechnen.“

Ohnehin ist die Darstellung der Risiken in den Beipackzetteln nach Meinung von Finanzexperten mit vielen Unsicherheiten behaftet, denn das Risiko ist stets abhängig von der konkreten Marktsituation, dessen Bewertung stets auch eine Betrachtung der Vergangenheit. Ein Beispiel: Galten etwa europäische Staatsanleihen noch vor fünf Jahren als risikoarm, so hat sich dieses Bild heute gewandelt. Die vergangenen Daten können deshalb zwar ein Hinweis sein, aber auch trügerische Sicherheit suggerieren.

Schuld am Beipackzettel-Wirrwarr, glaubt VZBV-Expertin Mohn, sei zum einen der ausgeprägte Widerstand der Finanzbranche gegen allzu konkrete Festlegungen, zum anderen aber auch die Tatsache, dass viele Köche mitmischen: Europäische und nationale Regelungen kreuzen sich da ebenso wie die unterschiedlichen Wünsche der Ministerien für Wirtschaft, für Finanzen und für Verbraucherschutz, die alle drei an der Gesetzgebung mitwirken wollten.

Womöglich wird es die PIB schon im kommenden Jahr in dieser Form gar nicht mehr geben. Denn 2012 kommen die PRIP, die europäische Variante der deutschen PIB, die derzeit auf EU-Ebene erarbeitet werden. Laut Georg Baur vom Bundesverband der privaten Banken ist es einigermaßen sicher, „dass dann alle PIBs wieder geändert werden müssen“.

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